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Rachekind: Thriller (German Edition)

Rachekind: Thriller (German Edition)

Titel: Rachekind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
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Prolog
    Er hat meine Augen nicht geschlossen. Mein starrer Blick stört ihn nicht. Er schaufelt Erde auf meinen leblosen Körper, bedeckt ihn Zentimeter für Zentimeter, ohne eine Pause einzulegen. Unwirklich. Alles ist so unwirklich. Selbst die Stille der Nacht. Kein Knacken von Zweigen, kein Rascheln im Gebüsch. Es ist, als zollten die Tiere des Waldes meinem Tod den Respekt, den mein Mörder mir versagt. Oder ist es meine Wahrnehmung, die ausblendet, was nicht mit mir verbunden ist? Die meinen Blick verengt, wie eine Linse, die nur das scharf stellt, was sich in ihrem Fokus befindet? Einzig das Knirschen der kiesigen Erde durchbricht die gespenstische Ruhe und weckt die Geister meiner Kindheit.
    Tschk-Schschsch.
    Mit jedem Tschk bohrt sich die Schaufel in die aufgehäufte Erde, nimmt eine Ladung auf und gibt sie mit dem schleifenden Schschsch wieder frei. Erde rieselt auf meinen Mund und meine Nase. Ein Klümpchen löst sich und rollt den Nasenrücken entlang, bis es auf mein rechtes Auge kullert und auf dem Augapfel liegen bleibt. Der Dreck müsste mich irritieren, meinen Blick beeinträchtigen, doch ich sehe klar.
    So klar wie nie zuvor.
    Es ist, als wäre ich losgelöst von der Person mit dem Erdklümpchen neben der Iris, als hätte es nie eine Verbindung zu dem Körper gegeben, der mir so viele Jahre gehört hat. Vielleicht verspüre ich deshalb keine Wut, keinen Hass, nicht einmal Bedauern.
    Tschk-Schschsch.
    Ein wenig Haut von meiner Stirn und meiner Nase blitzt noch hervor.
    Tschk-Schschsch.
    Er verteilt die restliche Erde und scharrt altes Laub über mein Grab, macht es unkenntlich für Wanderer, die sich in diesen Teil des Waldes verirren könnten.
    Es ist vorbei. Er hat meinen Köder geschluckt, hat sich von mir täuschen lassen.
    Er packt seine Schaufel und geht schweigend zum Auto zurück. Ich bleibe bei ihm. Er kann mich nicht sehen. Nicht hören. Nicht spüren. Aber ich folge ihm wie ein unsichtbarer Schatten.
    Im Auto sehe ich meinen Schlüsselbund auf der Mittelkonsole liegen.
    Dann nehme ich die Richtung wahr.
    Er müsste eigentlich nach Norden fahren, doch er fährt nach Südwesten. Er hat sich nicht täuschen lassen. Ich habe gezockt und verloren.
    Wieder verloren.
    Er fährt zurück zu meiner Wohnung.
    Zurück zu Lilou.
    * * *
    Hanna genoss die Stille in dem Taxi, während in ihrem Kopf die ausgelassene Partystimmung des Kundenevents nachhallte. Der Refrain des letzen Liedes der Liveband schwirrte noch immer durch ihre Gehörgänge, und sie unterdrückte den Impuls, laut mitzusummen. Von Weitem nahm sie die beleuchtete Spitze des Aachener Doms wahr. Ob ihre Faszination je nachlassen würde? Hanna dachte an ihre erste Begegnung mit diesem architektonischen Meisterwerk, als sie die Gassen der Altstadt abgelaufen war, um ihre neue Nachbarschaft zu erkunden. Ihr schneller Schritt über das regennasse Kopfsteinpflaster und die Freude über die bunten Häuserreihen, denen man die Nähe zu den Niederlanden ansah. Enge, mit Stuck verzierte Altbauten, manche nur ein paar Meter breit, deren Erdgeschosse liebevoll dekorierte Schaufenster kleiner Boutiquen beherbergten. Mittendrin der Dom. Wuchtig. Gewaltig. Und doch von einer Eleganz und Verspieltheit, die einen packte und nicht mehr losließ. Anfangs war sie fast jeden Tag die fünf Minuten zum Dom vorgelaufen und hatte nach neuen Details gesucht. Die filigranen Verzierungen an der Brücke zwischen Oktogon und Turm, das Bettlergewand einer Statue an der Südwestfassade, Adam und Eva in den unzähligen bunten Fenstern der Apsis. Wie klein sie sich damals bei der Betrachtung des Gotteshauses gefühlt hatte. Unbedeutend. Einsam. Und heute, keine drei Jahre später?
    Sie formte mit ihren Lippen still die Worte »mein Mann«.
    So stellte sie ihn am liebsten vor. Nicht: Das ist Steve, nein: Das ist mein Mann. Mit der Betonung auf mein und mit dem gleichen Stolz in der Stimme, mit dem sie ihre Tochter präsentierte. Mein Mann und meine Tochter. Steve und Lilou. Mein Leben.
    Sie spürte den Blick des Fahrers im Rückspiegel. Einen prüfenden, fast abwägenden Blick. Als frage er sich, wie alt sie wohl sei. In ihrem schwarzen Minikleid und mit der Hochsteckfrisur wirkte sie älter als neunundzwanzig, seriöser. Perfekt für Events wie heute Abend. Sie strich die blonde Strähne, die sich gelöst hatte, energisch hinters Ohr und richtete sich in den abgewetzten Ledersitzen des Taxis auf. Mit starrem Gesicht fixierte sie den Spiegel und sah, wie die Augen des

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