Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Freitag, 17. Juni, 00.15 Uhr,
Lister Landstraße
So und nicht anders stelle ich mir das Paradies vor. Die Nacht ist lau, ich kann ohne Verdeck fahren, und hätte ich mehr Haare auf dem Kopf, würde der Fahrtwind sie verwehen. Der Klassiksender im Autoradio hat ein ausführliches Mozart-Feature angekündigt, und der Musikredakteur scheint die gleichen Vorlieben zu haben wie ich. Die Landstraße vor mir ist fast leer, vielleicht sollte man häufiger nach Mitternacht unterwegs sein. Nur könnte ich das Marleen auf Dauer kaum erklären, sie ist ein eifersüchtiges Mädchen.
Ach, Marleen, wenn du wüsstest!
Ich frage mich langsam, wer überhaupt um Mitternacht von List nach Westerland fährt. Ein Fischhändler vielleicht, der es vorzieht, die Nacht in einer Westerländer Bar zu verbringen, anstatt mit seiner Angetrauten zu Hause vor dem Fernseher einzuschlafen? Morgen früh wird er verkatert ein aus dem Ruder gelaufenes Geschäftsessen vorschützen.
Ob Hubert Mönchinger auch manchmal um diese Zeit unterwegs ist? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich nicht, er hätte es mir doch sonst erzählt. Er erzählt mir alles, von dem er glaubt, dass es wichtig ist. Und diese eine freie Nacht, die er seiner Gattin pro Woche gönnt, hält er für ungeheuer wichtig. Er schämt sich furchtbar, wenn er darüber redet, aber er tut es trotzdem immer wieder. Tapfer. Wahrscheinlich lügt er nie. Denn Hubert Mönchinger will vor sich selbst als Ehrenmann dastehen – wenigstens das.
Wenn ihn seine Frau schon für einen Versager hält.
Der arme Kerl, er spricht fast nur von ihr. Er scheint nur durch sie zu existieren, als habe sie ihn am Tag ihrer Eheschließung aufgesogen, mit ihren Tentakeln erfasst und eingekreist. Unschädlich gemacht. Dabei hat er in seinem ganzen Leben bestimmt noch niemandem geschadet.
Aber halt, Manfred, alter Junge, pass auf, sonst sitzt du gleich neben deinem Patienten in der Marga-Mönchinger-Falle. Sie hält ihn ja gerade nicht für einen Versager. Nur darum ist er zu mir gekommen, und das finde ich durchaus nachvollziehbar.
Er fühlt sich, so sagt er, wie ein Fisch, den man nur angelt, um sein angstvolles Japsen verwundert zu betrachten. Niemand will ihn anschließend braten. Im Gegenteil. Stets wird er zurück ins Wasser geworfen. Allerdings nur vermeintlich mildtätig. Denn mit dem Angler eint ihn die Gewissheit, dass er jederzeit wieder aus dem Wasser gefischt werden kann. Hat Mönchinger eigentlich von einem Angler oder einer Anglerin gesprochen? Himmel, ich werde vergesslich! Gut, dass ich meine Aufzeichnungen habe.
Was ist denn da vorn los? Sieht aus, als habe dort einer die Promille der bescheidenen drei Martinis, die ich mir genehmigt habe, erheblich überschritten. Der beansprucht doch tatsächlich die volle Straßenbreite, beide Spuren. Witzig, er fährt das gleiche Auto wie ich. Sogar die Radkappen sind identisch. Wollen doch mal sehen, ob er sich auch die Turbo-Version geleistet hat.
Da schau einer an, er hat! Aber er traut sich nicht richtig. Vielleicht liegt das an dem Mädel auf dem Beifahrersitz. Scheint eine scharfe Nummer zu sein, so wie die blonden Locken fliegen.
Hoppla, jetzt hätte der Kerl mich doch beinahe gerammt. Ist ja gut, wollte mir doch nur deine Kleine etwas näher ansehen. Wenn der mal kein Fall für die Inselpolizei ist. Allein schon, weil man unmöglich an ihm vorbeikommt, jedenfalls, wenn man nicht in selbstmörderischer Absicht unterwegs ist. Am besten wäre es wirklich, ich würde stehen bleiben, rechts ranfahren und dann die Polizei rufen. Der Kerl ist eindeutig eine Gefahr für seine Mitmenschen.
Wenn ich nur wüsste, ob man meine Martinis noch riecht. Nicht, dass die Beamten dann auf die dumme Idee kommen, auch gleich bei mir einen Alkoholtest zu machen.
Marleen denkt ja, ich schlafe wieder mal auf der Couch in der Praxis. Dabei belüge ich das gute Kind so ungern. Aber es ging nicht anders. Oder hätte ich sagen sollen, ich wolle die Angaben eines Patienten überprüfen? Selbst Marleen hätte mich für komplett übergeschnappt gehalten. Wahrscheinlich zu Recht!
Ach, was weiß Marleen schon.
Mönchinger kommt seit mindestens zwei Monaten nicht weiter mit seiner Analyse. Natürlich war das vorauszusehen. Die beiden Mönchingers sind der klassische Fall für eine Paartherapie. Aber seine Marga will ja nicht. Behauptet er jedenfalls. Hier bin ich mir übrigens nicht ganz sicher, ob er die Wahrheit sagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sie wirklich gefragt
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