Feuer der Götter: Roman (German Edition)
ihre Körper übersäten so wie den seinen, züngelten Flammen empor. Weißes Feuer bündelte sich über ihren Köpfen zu aufstrebenden Strängen. Ihre Körper hingen aufrecht in bronzenen Gestängen, gehalten von Reifen um ihre Beine, Arme und Hälse.
Nur eines dieser Marterwerkzeuge war leer – das des Gottes des zehnten Mondes. War die Göttin daneben, die den Kopf zur Seite neigte und dabei die Augen öffnete, aus deren leeren Höhlen Flammen schlugen, die ihm versprochene Frau? Oder hatten sie alle ihre Namen und Wesen verloren, da sie alle nackt waren und nichts verriet, wer zu welchem Mond gehörte? Aus dem qualvoll verzerrten Mund eines anderen sickerte ein glühender Tropfen, der sich im Herabfallen rot färbte. Dann sah Royia es: Überall klebte getrocknetes Blut an den Beinen der Götter. Vor allem an den Oberschenkeln – als würden sie sich dort kratzen; die einzige Bewegung, derer sie in ihren Fesseln fähig waren. Stöhnend sackte der Kopf eines anderen Erwählten nach vorne, aufgehalten von der Halsfessel.
»Ja, sieh sie dir an«, sagte Xocehe tonlos. »Deine Brüder und Schwestern. Die angeblich auf dich warten, damit du die Lücke in ihren Herzen schließt. Aber sie haben keine Herzen mehr.«
Royia kämpfte sich auf die Füße, wankend vor Entsetzen. Er trat in eine Wasserrinne, was ihn fast zu Fall brachte. Zwischen den Göttern kam Wasser aus Öffnungen im Gestein, floss durch Rinnen sternförmig auf Xocehe zu, in ein rundes Becken, welches das Thronpodest umschloss. Dieses Wasser kam ihm wie eine Verhöhnung der in ihrem Feuer leidenden Götter vor.
»Das Wasser steht für Iq-Iq, das alte Dasein hinter dem Himmelsbogen«, sagte Xocehe. »Das Feuer der Götter jedoch für das Leben, das Toxina Ica der Welt schenkte.«
»Das Leben?« Ihm kam seine rauhe Stimme unwirklich vor. »Sie scheinen eher tot zu sein.«
»O doch, sie haben etwas in sich, das sie am Leben hält, nur ein Herz kann man das nicht mehr nennen. So wenig wie das, was in ihren Köpfen ist, noch denken kann. Sie sind über ihre Schmerzen wahnsinnig geworden und darüber, zur Bewegungslosigkeit verdammt hier auszuharren. Manche tun das seit Jahrhunderten. Ich habe sie in ihrem irdischen Leben gequält, damit sie es beizeiten lernen. Andernfalls würde ein Erwählter, kaum dass man ihn hierherauf geschickt hat, nur ein paar Tage durchhalten. Dort, der Älteste in unserer Runde«, Xocehe deutete auf eine kleine, zu einem Skelett abgemagerte Gestalt, von dem Royia nicht mehr hätte sagen können, ob sie ein Mann oder eine Frau gewesen war, »das ist Xipe To, der Gott des Schwertes und des Kampfes. Wahrlich stellt man ihn sich so vor, nicht wahr? Er erträgt sein Leiden seit mehr als tausend Jahren und will einfach nicht sterben. Und neben ihm, Hzitzapoqoqotli, der Fledermausgott. Muhuatl hätte seinen Platz einnehmen sollen. Stattdessen berief ich diesen jungen Mann. Aber er ist schwach; er wird uns bald verlassen. Ich gebe ihm keine hundert Jahre.«
Royia hörte Naave vor Ekel und Verzweiflung keuchen. Er riss den rechten Arm hoch. Der Dorn des Menschentöters bohrte sich in die Brust Hzitzapoqoqotlis, traf ins Herz. Ein glühender Faden troff heraus. Die dürre Gestalt erzitterte in ihren Fesseln und starb mit einem langen Seufzen. Royia meinte Dankbarkeit in den lodernden Augenhöhlen des Gottes zu sehen. Aber wenn es so war, musste es die Dankbarkeit eines gequälten Tieres sein, nicht die eines denkenden Menschen.
Das ist Wahnsinn!
Er glaubte den Wahnsinn selbst schon in sich zu fühlen. »Royia …«, krächzte Naave hinter ihm. Unendlich träge drehte er sich um. Ein Wächter sprang auf ihn zu – er hätte nicht zu sagen vermocht, woher er gekommen war. In den Händen hielt er einen Speer. Die wuchtige Lavasteinspitze bohrte sich in Royias Unterleib. Mit erstaunlicher Klarheit nahm er wahr, wie sie aus seinem Rücken wieder austrat. Und dass er rücklings niedersackte und der Schmerz, als die Waffe wieder ein Stück zurückglitt, zu einem grellen Blitzen in seinem Schädel wurde. Fühlt es sich so an? Der Mann beugte sich über ihn, bereit, die Waffe wieder tiefer hineinzutreiben. Royia starrte in ein mitleidloses Gesicht, das mit schwarzer Erde unkenntlich gemacht war. Ein Zweiter sprang hinzu – wo, bei allen Göttern, kamen sie her? Dieser schwang eine Naz-Schlinge über dem Kopf. Sein Ziel war Naave. Rücklings versuchte sie von ihm fortzukriechen.
»Sie hat das Recht, hier zu sein!«, rief Xocehe. Der Mann
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