Feuer der Götter: Roman (German Edition)
dunklen Bronzegestänge zu erahnen. Der Brand schlug wirbelnd aus den hochgelegenen Fenstern. Alles flirrte, war in Bewegung. Ruhig saß die Göttin auf ihrem Thron, die Hände auf den Lehnen, die Augen offen und blicklos. Dicht um sie flimmerte die Luft und wirkte dennoch wie erstarrt.
An Royias Seite hastete Naave die endlose Treppe hinunter. Sie erwartete, dass die Wächter sie aufhielten, doch von denen war keiner mehr zu sehen. Irrte sie sich, oder wurde das Gleißen des Jadegangs schwächer? Sie gelangten in den dunklen Teil des Ganges. Irgendetwas an Royia leuchtete noch, so dass sie sich nicht mühsam hinuntertasten mussten. Dann hatten sie die Öffnung im Berg erreicht. Aufatmend stürzten sie auf das Felsplateau – und hielten inne.
Ein Toxinac stand am Rand und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Naave folgte seinem Blick. Der Bergpalast war von hier aus nicht zu sehen, doch man konnte das Feuer erahnen.
»Wir haben alles getan, dies zu verhindern«, sagte der Priester durchaus nicht unfreundlich. »Aber wir wussten, dass es sich nur eine Zeitlang aufhalten lässt.«
»Was geschieht jetzt?«, fragte Royia. Noch immer hielt er einen Arm um Naaves Schulter gelegt. Er sah aus wie zuvor; nichts verriet, dass er sich vollständig in eine Feuersbrunst verwandelt hatte. Oder dass in seinem Leib ein Speer gesteckt hatte. Nicht einmal eine neue Narbe war unter all den anderen zu sehen.
Sie hatte das Gefühl, als rücke ihr gepeinigtes Herz zurück an seinen Platz. Mattigkeit überkam sie. Es war ausgestanden. Sie hatte ihn nicht verloren.
Was geschieht jetzt mit uns?, wiederholte sie die Frage für sich. Er ist unsterblich; zumindest altert er nicht, und ich?
Irgendwie erschien ihr das jetzt unwichtig.
»Spürt ihr schon die Kälte?« Der Toxinac rieb sich über die Arme, drehte sich um und nickte zu den fernen Hügelketten. »Jetzt werden wir alle erfahren, wie es ist im Kalten Land. Zumindest jene, die die nächste Zeit überstehen werden. Schlechte Ernten, Hunger, zu wenig Kleidung am Leib – in der Stadt werden sich die Menschen noch schneller an die Kehlen gehen, als sie es ohnehin schon tun. Sie werden den Trennenden überwinden und uns heimsuchen. Aber auch hier wird das Sterben einsetzen; alles wird verdorren und verenden vor Kälte. Wolltest du das, Gott des zehnten Mondes?«
»Nein. Aber ich konnte meine Brüder und Schwestern nicht ihrem Schicksal überlassen.«
»Ja, das Schicksal. Iq-Iq, der hinter dem Himmelsbogen lebt. Er hat entschieden.« Der Toxinac neigte ehrerbietig den Kopf. »Du kannst gehen, Erwählter. Niemand wird dich aufhalten, denn es gibt ja nichts mehr zu verhindern. Leb wohl.«
Er wandte sich ab und schritt über die Hängebrücke. Das Blattwerk der Bäume verschluckte ihn. Unwillkürlich fragte sich Naave, ob er wirklich da gewesen war.
Sie trat mit Royia an den Rand der Plattform. »Ob es wirklich so schlimm wird, wie er sagt?«
Er sagte nichts. Das musste er auch nicht – sie kannte die Antwort. Die Götter hatten nicht umsonst leiden müssen.
Naave blickte zum Himmel. Wie würden die Monde in der Nacht aussehen? Wären sie verblasst? Gar unsichtbar? Und die Sonne, begann ihre Kraft schon zu schwinden? War da nicht ein kühler Hauch auf der Haut? Sie meinte Kälte unter den Füßen zu spüren; sie kroch in ihr hinauf wie Schlangen, die tief aus dem Fluss heraufkamen. Naave hob einen Fuß und rieb sich die Sohle am Bein. Geschah es wirklich so schnell? Oder war es die Furcht, die sie frösteln ließ?
Sie wünschte sich, die Seele eines der Götter käme zu ihr herab und flüsterte ihr ins Ohr: Es war gut, was ihr getan habt.
Auch Royia runzelte die Stirn, als er nach oben blickte. Es waren keine Wolken zu sehen, doch das strahlende Blau war verblasst. Der vor Leben strotzende Wald war leiser geworden. Er lauscht dem Wind.
»Irgendwo dort unten wartet Quza mit seinen Männern«, sagte er. »Sie werden erstaunt sein, uns wiederzusehen.«
»Sie werden über einiges staunen, was demnächst geschieht.«
»Wohin jetzt mit uns? Zurück in den Tempel? In die Stadt? Bleiben wir im Wald? Oder suchen wir sogar das Kalte Land auf, wo es auch nicht anders ist, als es hier bald sein wird?«
»Zuerst müssen wir in den Tempel. Zoi und die anderen Priester müssen endlich die Wahrheit hören.« Alle Menschen sollten sie hören! Damit sie sich vorbereiten konnten. Um sich gegen die Kälte zu wappnen oder um fortzulaufen. Oder um zu sterben. Naave sackte in die Knie – zu
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