Feuer der Götter: Roman (German Edition)
wieder in den Lichtwald hinaufzusteigen und sich zu orientieren. Er wollte nach vorne laufen, um seinen Ausflug anzukündigen, als von der Vorhut erstaunte Rufe kamen.
Er hastete an der Reihe der dreißig Tempelwächter vorbei. Quza und einige weitere standen am Rand einer großen Lichtung. In ihrer Mitte erhob sich der mächtigste Angua des Waldes, mit seinen vier übereinandergewachsenen Kronen, die sich im Dunst eines gleißenden Himmels verloren.
Der Baum der Verehrung.
Einer der Tempelwächter deutete hinauf. »Der Gott-Eine wohnt in dem Baum!«
Die Männer warfen sich auf die Knie und pressten die Gesichter in den weichen Waldboden. Ihre muskulösen Körper, die jedem anderen Mann um das Dreifache überlegen waren, zitterten vor Furcht. Royia ging zu Quza und rüttelte ihn an der Schulter. »Es ist nur eine Statue. Der Gott-Eine wohnt nicht in diesem Baum, sondern auf dem Berg.«
Langsam erhoben sie sich wieder. Naave war an Royias Seite getreten und legte eine Hand über die Augen. »Wie groß der Angua ist!« Sie wandte sich ihm zu und musterte ihn. »Da drinnen hast du dein Axot gefunden, nicht wahr?«
»Und hier unten hat Muhuatl seine Frau beweint.« Er wartete, ob sich jemand blicken ließ, ein Toxinac oder einer ihrer Wächter, doch nur Vögel kreisten über dem Baum, stoben in die Kronen und wieder daraus hervor. Auch auf den drei Hängebrücken tat sich nichts. Er wies auf das Ende der Lichtung, wo die Felswand anstieg. »Wir sind fast da. Es ist an der Zeit, dass wir alleine weitergehen, Naave.«
»Herrin, meine Männer und ich können doch nicht zurückbleiben!«, warf Quza sofort ein.
»Und wie sollt ihr hinaufkommen?«, wollte Royia wissen. Auf Quzas zweifelnden Blick hin schlug er ihm auf die Schulter. Der Tempelwächter zuckte zurück. Geheuer war ihm Royia nicht, und das würde sich wohl auch so bald nicht ändern. »Ich kann nur Naave tragen«, fügte Royia hinzu.
»Ihr solltet uns herbringen, und diese Aufgabe habt ihr aufs vortrefflichste erfüllt«, warf Naave freundlich ein. »Wartet jetzt hier.«
»Wie du willst«, murmelte Quza betreten. »Wir lagern hier«, rief er seinen Männern zu, die sich sofort erleichtert entspannten. Diese drei Tage waren für alle anstrengend gewesen. Zwar hatten sie keine allzu gefährlichen Tiere abwehren müssen, bis auf einige Schlangen und ein wild gewordenes Izelomuttertier, das seine Jungen verteidigte. Auch kein Waldmensch hatte sich angesichts der gefährlich wirkenden Kämpfer blicken lassen. Der Unterwald selbst war jedoch ein schwieriger Gegner gewesen, mit seinen alles überwuchernden Schlinggewächsen, dem sumpfigen Untergrund, den giftsprühenden Pflanzen und blutsaugenden Insekten. Zwei Männer waren den überraschenden Angriffen einer Giftnaua zum Opfer gefallen.
»Ich danke euch«, sagte Naave zu Quza, und er verneigte sich. Sie trat zu Royia. Er drehte sich um, damit sie die Hände um ihn legen konnte. Dann lief er mit ihr hinauf in den Lichtwald.
Naave bestaunte das Gewirr von Treppen und Brücken, das die Behausungen der Chacu miteinander verband. Männer und Frauen steckten die Köpfe aus den rundlichen, aus Blattwerk gefertigten Baumhütten und tuschelten miteinander. Da es keine Handläufe und auch sonst nichts gab, das vor dem Absturz von den schaukelnden Brücken bewahrte, hielt sich Naave an Royias Hand fest. Es ging über weitere aus Brettern oder Ästen gefertigte Treppen, durch dichte Kronen hindurch, hinauf und hinab; dann nahm er sie wieder auf den Rücken und sprang über Abgründe hinweg. Sie staunte über sich selbst, wie furchtlos sie das alles ertrug.
»Wir sind da«, sagte er. Sie löste sich von ihm. Vor ihr lag ein Plateau, das aussah wie vom Schwertstreich eines gewaltigen Gottes in den Fels geschlagen, so eben und glatt war der Boden. An seinem Ende erhob sich die zerklüftete Wand des Berges, und darin der schwarzgähnende Eingang einer Höhle. Naave wusste sofort, dass es sich um den Jadegang handelte, den Weg, den sie gehen würden.
Ein Mann löste sich aus dem Schatten. Mit vor dem Bauch gekreuzten Händen schritt er ruhig auf sie und Royia zu. Dies musste einer der Toxinacen sein. Auf eine seltsame Art war er in ein Kordelgeflecht gehüllt, in dem dicht an dicht Jadesteine aneinanderschlugen. Eine Krone aus grünen Federn bedeckte sein kahles Haupt, und schwere Jadesteine schaukelten in seinen geweiteten Ohrläppchen. Aus mit dicken schwarzen Strichen umrandeten Augen musterte er Royia.
»So bist du
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