Feuer: Roman (German Edition)
Gefahr, wirklich nicht«, antwortete Angela überraschend sanft. »Dazu bestünde auch absolut kein Grund. Wir sollten die letzten Monate und Jahre und all das, was mit dem Drachenfeuer zusammenhängt, aus unserem Gedächtnis streichen. Und Duffy ihre kleinen Geheimnisse lassen, auch wenn sie den einen oder anderen damit vielleicht noch zur Weißglut reizen wird.«
»Was soll denn das nun wieder heißen?«
»Das könnte ich dir noch nicht einmal sagen.« Angela zuckte mit den Schultern. »Jeder von uns hat doch sein kleines Geheimnis. Und das ist doch auch gut so, oder?«
Will dachte an den filigranen Schlangenring, der sich fast unsichtbar ein kleines Stück über seinem Fußknöchel in seinem Gewebe eingegraben hatte. Fast widerstrebend nickte er. »Ganz unabhängig davon, dass wir uns bemühen, ganz unverdrossen Optimismus zu bewahren: Glaubst du wirklich, dass alles vorbei ist?«
»Was?«
Will zuckte unglücklich mit den Schultern. »Die Sache mit der Fenrirs-Sippe, der Georg angehört hat und von der wir nach wie vor kaum etwas wissen. Es könnte doch durchaus sein, dass sie einen neuen Vorstoß wagen!« Als Angela nicht gleich antwortete, fuhr er fort: »Und nicht zu vergessen die Kraft des Drachenfeuers, die unsere Vorfahren geweckt oder entdeckt haben oder wie auch immer«
Angela schwieg immer noch. Dann glitt ein Schatten über ihr Gesicht, als habe sie an etwas gedacht, das Will überhaupt nicht gefallen würde, und schüttelte rasch den Kopf. »Georg war der letzte starke Vertreter der Fenrirs-Sippe, und nach seinem Tod ist ihre Kraft endgültig gebrochen«, sagte sie rau. »Sie war sowieso ein Anachronismus, genauso wie wir selbst. In unserer Welt haben heidnische Rituale und wolfsgesichtige Meuchelmörder keinen Platz mehr, genauso wenig wie Menschen, die eine zu innige Beziehung zum Feuer pflegen.«
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, standen die meisten Männer und Frauen, die sich für Fenrirs Erben hielten, sowieso nicht hinter Georg«, erinnerte sie Will. »Sie haben nichts weiter versucht, als das Drachenfeuer unter Kontrolle zu halten – und sei es mit Hilfe der Kältemaschinen.«
»Ganz genau.« Angela nickte bestätigend. »Georg war im Grunde unter seinen eigenen Leuten isoliert. Er hat versucht, sie zu benutzen und Reimann und den anderen dabei vorzuspielen, dass man uns ausschalten müsste, weil wir angeblich im Begriff waren, eine Apokalypse auszulösen.«
»Und deswegen hat Reimann mich beschattet und war bis zum Schluss der Meinung, mich aufhalten zu müssen«, sagte Will bitter.
»Und als er seinen Irrtum erkannt hatte, war es zu spät.« Angela fuhr sich mit einer gedankenverlorenen Geste durch ihr langes Haar. »Und außerdem darfst du eine ganz wichtige Sache nicht vergessen: Das Drachenfeuer ist nach dem letzten Ausbruch endgültig erloschen, und ein Kampf um seine Macht damit vollkommen sinnlos geworden.« Als Will dazu nichts sagte, sondern sie nur zweifelnd ansah, ließ Angela ihre Hand wieder sinken und fügte hinzu: »Schließlich geht alles irgendwann einmal zu Ende. Und nun komm.« Sie ergriff seine Hand und zog ihn ein Stück mit, etwas, das sie noch nie getan hatte und das ihn daran erinnerte, wie es hätte sein können, wenn sie ganz normal aufgewachsen wären wie zwei gewöhnliche Geschwister, die sich nicht nur stritten, sondern auch gute und wilde Zeiten miteinander teilten. »Komm«, wiederholte sie mit bewusst gespielter Fröhlichkeit. »Sie wartet. Und du willst sie doch nicht warten lassen, oder?«
»Nein«, sagte Will, während er sich mühte, einen Schritt vor den anderen zu setzen. »Ganz gewiss nicht.«
Fast wäre er in einen Laufschritt verfallen, aber das ließ er dann doch lieber bleiben, und auch Angela entzog ihm schon nach wenigen Schritten ihre Hand. Das Haus, auf das sie zusteuerten, war im Fachwerkstil gebaut, und damit viel moderner als die Schmiede, die Will nach wie vor jede Nacht in seinen Träumen sah, wenn er sich wieder einmal schweißüberströmt in seinem Bett wälzte.
Die Schmiede, dachte er, wird mich wohl mein Lebtag lang nicht mehr loslassen.
Genauso wenig wie die Frau, die neben dem Eingang des kleinen Restaurants auf sie wartete.
»Hallo«, sagte Martina, als sie sie entdeckte. Sie lächelte ganz leicht, aber auf eine Art, die seltsam traurig und bedrückt wirkte. »Wo ist Duffy?«
»Dort drüben«, sagte Angela und deutete hinter sich, in Richtung des Cafés. »Will meinte, dass es besser wäre, sie bekäme …
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