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Feuer und Glas - Der Pakt

Feuer und Glas - Der Pakt

Titel: Feuer und Glas - Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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wie hoch das Wasser stand.
    Bis zum Sommer war es nicht mehr lange hin, und doch behaupteten alte Leute, sie könnten sich nicht daran erinnern, dass es je zuvor in einem Frühling so viel geregnet habe. Selbst an trockenen Tagen schien die Flut immer stärker zu werden, geradezu in die Stadt hineinzudrängen, als wollte sie mit aller Macht zurückerobern, was die Menschen einst dem Meer abgerungen hatten.
    Die Gassen wurden stiller und schmaler, je weiter sie gelangte, wenngleich die meisten Häuser hier aus Stein waren und damit anzeigten, dass sie von wohlhabenden Leuten bewohnt wurden. Wie anders es bei ihnen im Marktviertel war, wo alles aus Holz gebaut war und man schon ängstlich den Atem anhielt, sobald ein Funke flog!
    Nicht zum ersten Mal überkam Milla Angst, sich zu verlaufen. Zu Hause, auf Murano, hatte sie jeden Winkel gekannt und sich selbst mit geschlossenen Augen zurechtgefunden – doch Venedig erschien ihr noch immer wie ein Labyrinth, in dem man allzu leicht verloren gehen konnte.
    Plötzlich war das Tier verschwunden.
    Milla machte ein paar Schritte nach rechts, dann nach links und blieb schließlich unschlüssig stehen. Sie hörte leises Plätschern aus einem Kanal, den sie von hier aus nicht sehen konnte. Erst nach einer Weile fiel ihr auf, dass die Mauer vor ihr unterbrochen war.
    Mitten im Ziegelwerk befand sich eine Tür!
    Sie berührte das eng gefächerte Holz, das im unteren Bereich einen breiteren länglichen Schlitz aufwies, und erschrak, weil es unerwartet nachgab, als sie es berührte.
    Milla spähte in einen kleinen, gepflasterten Hof und trat ein, obwohl ihr Herz vor Aufregung laut klopfte. Langsam ging sie weiter, auf einen Brunnen zu, aus poliertem rötlichem Stein gefertigt, hinter dem eine Treppe hinauf zum Haus führte. Seitlich konnte sie exakt gestutzte Buxbaumkugeln ausmachen sowie den säuberlich geharkten Rand eines bunten Blumenbeets, offenbar ein liebevoll gepflegter Garten, der direkt zum Wasser führen musste.
    Täuschte sie sich, oder war die Luft hier drinnen eine Spur bläulicher?
    »Was willst du hier?« Das Venezianisch war fehlerfrei, klang allerdings in ihren Ohren so schnarrend, als blase ein kräftiger Wind in ein hölzernes Gestell.
    Der Junge mit den Riesenohren!
    Er hockte auf der steinernen Treppe und grinste ihr entgegen.
    »Nichts«, stammelte Milla verlegen. »Ich dachte nur … der Kater … ich meine Puntino …« Sie verstummte.
    »Er hat dich hergebracht?« Der Junge lachte fröhlich. »Sieht ihm ähnlich, diesem kleinen Strolch! Du nennst ihn Puntino? Das passt!«
    Ob die anderen wohl auch in der Nähe waren? Das Mädchen mit den goldenen Reifen, der Dicke mit der roten Schärpe, der dunkelhaarige Gondoliere …
    »Ich kenn dich doch!« Geschmeidig hatte sich der Junge erhoben, machte aber keinerlei Anstalten, herunter zu Milla zu kommen, sondern redete weiterhin von oben auf sie herab. »Du warst gestern an der Mole. Und hast uns die ganze Zeit angestarrt.«
    Milla nickte.
    »Ihr seid aus Konstantinopel?«, fragte sie und spürte, wie ihre Kehle bei der Frage eng wurde.
    Sein Kopf begann zu wackeln, als sei er an einer unsichtbaren Schnur befestigt.
    »Eigentlich sind wir überall zu Hause. Aber den Winter über waren wir dort, das ist richtig. Du kennst Konstantinopel?«
    »Leider nein«, sagte sie. »Ich habe die Lagune noch nie verlassen.«
    »Und woher stammst du?«
    »Aus Murano. Dort, wo die Glasbläser leben. Aber jetzt wohnen wir hier, in Venedig.«
    Mit einem Satz sprang er zu ihr herab. »Du gefällst mir«, rief er. »Du bist so – anders!«
    »Wie meinst du das?«, fragte Milla verdutzt.
    »Darf ich dein Haar anfassen?« Noch bevor sie antworten konnte, hatte er schon danach gegriffen und wickelte sich eine Locke um den Finger. »Wie stark es ist! Und wie es von innen heraus glüht! Man könnte fast meinen, es bestünde aus Feuer. Da muss man ja achtgeben, dass man sich nicht daran verbrennt.« Er zog seine Hand zurück, spitzte die Lippen und begann übertrieben zu blasen, als stünde er vor großem Publikum.
    Ein Spinner, dachte Milla, die ihre Haare nicht besonders mochte, weil sie sich so schwer bändigen ließen, und musste unwillkürlich lächeln. Aber ein sehr liebenswerter Spinner!
    »Und wie heißt du?«, fragte sie.
    »Ganesh«, antwortete eine weibliche Stimme an seiner Stelle. »Ich hoffe, er war nicht zu aufdringlich, das ist er nämlich manchmal.« Das fremde Mädchen war unbemerkt zu ihnen getreten und sah Milla nun so

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