Feuer und Glas - Der Pakt
Verrat …«
»Leandro ist kein Verräter! Wann geht das endlich in eure Spatzenhirne?«, rief Ysa. »Ich bin ja bereit, euch zu helfen. Aber nur, wenn ihr mich das auf meine Weise machen lasst. Sonst wird gar nichts daraus. Habt ihr verstanden? Und jetzt verzieht euch. Ich hatte einen harten Tag und bin hundemüde!«
Ein Brummen, dann waren die Männer verschwunden.
Milla tauchte die Hände zurück ins Spülwasser. Sie würde Ysa fragen, was das alles zu bedeuten hatte – sobald sie beide ungestört waren.
Z w eites Kapitel
Die Glocken von San Giovanni Elemoisinario weckten Milla aus einem unruhigen Schlaf. Sie hatte lebhaft geträumt, von Gondeln, blauen Prinzen und fliegenden Katzen, war zwischendrin immer wieder aufgewacht, um erst wieder in tiefen Schlummer zu sinken, als es schon dämmerte. Nachdem sie sich die Müdigkeit aus den Augen gewaschen hatte, fand sie die Wohnung leer vor – was nur bedeuten konnte, dass Mutter und Tante bereits auf dem Markt waren.
Es war ein seltsames Gefühl, allein durch die vollgestopften Räume zu streifen, in denen nun auch noch ihre Möbel untergebracht waren. Zum ersten Mal, seit sie in Venedig lebte, fragte sie sich, wie es wohl für Ysa sein mochte, mit ihnen zu teilen, was zuvor ihr allein gehört hatte. Die Tante war seit Jahren Witwe, und an Gianni, ihren Mann, besaß Milla nur vage Erinnerungen. Wenige Male waren die beiden bei ihnen zu Besuch auf Murano gewesen, die Insel, die ihr Vater als Glasbläser unter höchster Strafandrohung niemals verlassen durfte. Und so war es alles andere als eine Selbstverständlichkeit gewesen, nach Leandros rätselhaftem Verschwinden die mittellose Schwägerin und deren Tochter bei sich aufzunehmen. Ysa jedoch hatte mit ihrem ansteckenden Lachen und einer herzlichen Umarmung Fremdheit oder Peinlichkeit erst gar nicht aufkommen lassen.
Milla wollte gern ein wenig davon zurückgeben, indem sie heute im ippocampo nach dem Rechten sah, bevor die beiden mit ihren Einkäufen zurück waren. So rasch sie nur konnte, schloss sie ihr hellgrünes Mieder mit den widerspenstigen Haken, knotete den Rock in der Taille zusammen und fuhr in die Holzpantinen, die man erst seit Kurzem wieder ohne Strümpfe tragen konnte. Danach rannte sie die Treppen hinunter, um ja die Erste zu sein.
An der Haustür lief sie Signore Cassiano in die Arme, ihrem Vermieter, der immer etwas zu nörgeln hatte.
»Auch schon auf?«, murmelte er griesgrämig. »Eure Taverne soll ja seit Neuestem gesteckt voll sein, wie man hört!«
»Mutter und Tante Ysa würden sich freuen, Euch als Gast im ippocampo begrüßen zu dürfen«, erwiderte Milla diplomatisch.
Eigentlich gehörte zur Taverne auch eine kleine Wohnung, direkt darüber gelegen. Wie viel bequemer wäre diese Lösung gewesen! Doch Cassiano hatte dort eine ältliche Verwandte mit einer Warze am Kinn einquartiert, die an Ausziehen nicht dachte. Stattdessen beschwerte sie sich über Küchendünste, die angeblich ihren Mittagsschlaf störten, vor allem aber über die wachsende Schar hungriger Katzen im Hof, für die sie Milla nicht ganz zu Unrecht verantwortlich machte.
»Das würde meinem empfindlichen Magen wohl kaum bekommen!« Mit einem Mal sah er richtig leidend aus, doch Millas Mitgefühl verschwand rasch wieder, als er weiterredete: »Wenn die Geschäfte so gut laufen, könnt ihr ja auch mehr Miete bezahlen. Richte also deiner Tante aus, dass sie mit meinem Besuch zu rechnen hat!«
Milla nickte knapp und schob sich an ihm vorbei, nicht ohne den Atem anzuhalten, denn er stank aus allen Poren nach Knoblauch, dem er offenbar trotz seiner angeblichen Magenschwäche in riesigen Mengen zusprach.
Venedig war bereits hellwach, das bemerkte Milla sogar auf der kurzen Strecke, die sie bis zur Taverne zurückgelegt hatte. Noch immer waren Scharen von Lastträgern unterwegs, wenngleich Milla deren Gemüsekisten leerer erschienen als sonst. Lediglich die Männer, die das Eis anschleppten, auf dem das fangfrische Meeresgetier angeboten wurde, ächzten unter unvermindert schwerer Ladung. Der dicke Händler mit seinen düsteren Prognosen kam ihr unwillkürlich wieder in den Sinn, doch als die heisere Stimme der Wasserverkäuferin ertönte, bei der sie Stammkunden waren, schob Milla diese Gedanken beiseite.
Wusste der Himmel, wie die Frau ihren brüchigen Karren mit all den Tonkrügen über die zahlreichen Brücken hievte, die sie auf ihrer täglichen Route quer durch die Stadt zu überqueren hatte! Manchmal japste sie
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