Feueraugen III. Das Schloss
schon zu lange. Ohne einen Gedanken daran, was sie sonst noch erwarten könnte, stürmen sie die Treppe hinauf in den Nebel.
"Ich seh' kaum noch was!" gibt der Krämer nach hinten durch, als er die oberste Stufe der Treppe erreicht hat.
Ricci steht hinter ihm und greift ungeduldig in die flockige Undurchsichtigkeit hinein. "Auuu!" er hat sich eine Hand an der Felswand gestoßen. "Dio ... sind wir in eine Sackgasse geraten?" brummelt er in sich hinein und saugt an seinem blutenden Mittelfinger.
"Was ist denn los, da vorne?" erkundigt sich Baldwin, der ebenfalls kaum mehr sieht als Zeramov hinter sich und Dr. Glücklich, der vor ihm im Nebel steht. "Geht doch weiter!"
Inzwischen hat der Krämer eine Art Durchgang entdeckt. Links und rechts ist er von Felsen eingekeilt, aber vor ihm liegt ein schmaler Pfad.
"Der Nebel ist so dicht, dass ich kein gutes Gefühl hab', hier weiterzugehen", erklärt er Ricci.
"Wir müssen uns festbinden. Wer hat ein Tau dabei?" ruft der nach hinten.
"Luigi, imbecile ... wer soll ein Tau bei sich haben? Wenn wir uns nicht aus den Augen verlieren wollen, müssen wir uns die Hände reichen", kontert der Signore.
Sie bilden eine Kette und dann wagt sich der Krämer voran.
Zu seinem Erstaunen steht er plötzlich nicht mehr im Nebel. Auch etwa zehn Schritte vor ihm ist die Sicht unbehindert. Dies gibt er sofort nach hinten durch. Die Meldung landet bei Zeramov, der sich gerade einen Schuh bindet und die Antwort wandert zurück nach vorne.
"Zeramov sagt, dass man ihn nicht fragen soll!" erklärt Ricci dem Krämer. "Ich meine, das ist ein Nebelloch ... ein Loch im Nebel vielmehr. Ich sehe Mademoiselle Lableue nicht, aber sie steht hinter Giorgio. Sie sehen bis da vorne hin ... ich noch nicht. Gehen wir, Krämer!"
Der Zug setzt sich in Bewegung. Zeramov bildet jetzt das Schlusslicht, Cassius geht vor ihm.
"Verdammt noch mal!" Zeramov ist über einen Gegenstand am Boden gestolpert. Als er sich danach bückt, glaubt er seinen Augen nicht zu trauen.
"Heh, wartet mal!" ruft er nach vorne und besieht sich den Meilenstein eingehender, den er hier entdeckt hat.
Die Zahl '0' ist deutlich zu erkennen - darüber eine geometrische Figur: eine auf die Spitze gestellte Raute.
"Was hat er denn unser Philosoph?" höhnt Ricci, der nicht weiß, warum Zeramov ums Anhalten gebeten hat.
"Cassius ... jetzt gilt's!" flüstert Zeramov dem kameralosen Kameramann zu. "Wir sind sozusagen am Ziel!"
Cassius nickt begeistert und schreit ein kräftiges '0K!' nach vorne.
Der Zug setzt sich wieder in Bewegung und schließlich stehen auch die Letzten in der Nebelbresche. Zeramov kann jetzt bis nach ganz vorne zum Krämer sehen. Tastend sucht er im Nebel, der den schmalen Pfad säumt, nach festem Boden.
"Ich mache euch nur drauf aufmerksam, dass wir eine Gratwanderung unternehmen. Springt besser nicht in einer Anwandlung von Übermut zur Seite. Da geht's tief hinunter!" erklärt er den anderen.
"Wenn der doch endlich mal seine Schnauze halten könnte!" kreischt Ricci. "Krämer ... worauf warten sie denn? - Weiter ... schnell ... ah, mama mia!"
Kaum sind sie ein Stück weit vorangekommen, hält Zeramov den Zug erneut an.
"Fällt denn keinem von euch auf, dass wir zwar weitergehen, der Nebel aber mit uns mitwandert? - Wir befinden uns nach wie vor in dem Loch!"
"Er hat recht!" gibt Marlène zu. "Ich sehe Dich genau!" Damit meint sie offenbar Michel, der vor ihr geht.
"Dr. Glücklich ... wir erleben ihren Traum!" ruft Zeramov jetzt freudig aus. "Eine Nebelbresche, die sich vor uns auftut und hinter uns wieder schließt. Voran, Freunde ... dieser Nebel wird uns nicht hinderlich sein. Wir kommen ohne Probleme ans Ziel!"
"Zeramov ... wenn wir wieder sicher stehen, dann breche ich ihnen das Genick!" Auch der Signore hat jetzt genug von Zeramovs Ausführungen. "Un sogno ... Signore Baldwin, ihr Schreiber ist ein Wahnsinniger!"
Trotzdem kommen sie ohne jeden Zwischenfall voran und gelangen über einen Steilhang auf ein Geröllfeld, auf dem sie eine Rast einlegen.
Der Nebel hat sie freigegeben - vor ihnen liegt ein unwirkliches Bergtal, in dem grellweiße Felsbrocken und dunkelgrauer Kies einen erstaunlichen Kontrast bieten. Erschöpft lassen sie sich auf einigen der kleineren Felsbrocken nieder. Die letzte Viertelstunde hat ihnen viel abverlangt und sie müssen erst wieder Kräfte sammeln, bevor sie an den Weiterweg denken können.
"Und jetzt?" fragt Emma. "Dös Schloss kann ich fei ned seh'n!"
Rodolphe nickt
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