Fey 01: Die Felsenwächter
Schwert.
DIE SCHLACHT
(Neun Monate später)
2
Es war Nachmittag, aber die dicken, schweren Wolken am Himmel sorgten für nächtliche Finsternis. Die heftigen Regenschauer wühlten den durchweichten Boden auf. Nicholas’ Haare klebten ihm im Gesicht. Nur ein kurzer Augenblick im Freien, und schon war er völlig durchnäßt. Niemand hatte ihn beobachtet, als er in den Hof hinausgetreten war. Der Himmel mochte wissen, welchen Ärger er sich dadurch wieder einhandelte.
Es war die Aufgabe der Diener, den Prinzen vor sich selbst zu schützen, koste es, was es wolle. Auch dann, wenn er ihren Schutz ablehnte. Nicholas war jetzt achtzehn Jahre alt. Alt genug, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen.
Er strich über den Knauf seines Schwertes. Die Scheide war an seinem Bein festgebunden, und die Lederriemen scheuerten auf seiner Haut. Der juwelengeschmückte Knauf fühlte sich glatt an. Es war gefährlich, bei diesem Wetter zum Kampf anzutreten, aber er nahm die zusätzliche Herausforderung nur allzu gerne an.
Außer einer mageren Katze auf der Suche nach einem Unterschlupf war niemand im Hof zu sehen. Hinter den verschlossenen Stalltüren brannte Licht; die Stallburschen waren mit den Pferden beschäftigt. Der Dienstbotentrakt lag noch im Dunkeln, nur Stephans Hütte war erleuchtet.
Stephan war ein alter Mann, der der königlichen Familie als Waffenmeister diente. Bereits vor Jahrzehnten hatte er Nicholas’ Vater beigebracht, wie man mit dem Schwert umgeht, und dann lange Jahre ohne besondere Verpflichtungen gelebt, bis Nicholas schließlich fünfzehn Jahre alt geworden war. In diesen ruhigen Jahren war Stephan zum Gelehrten geworden und hatte sich mit der Geschichte der Blauen Insel beschäftigt. Er war außerdem Experte für die Kultur der Nye und hatte sich schließlich einem Volk zugewandt, das in seinen Augen die nächste Bedrohung der Insel darstellte: den Fey.
Nicholas waren zukünftige Gefahren gleichgültig, solange er nur lernte, wie man zu kämpfen hatte. Stephan unterrichtete ihn jetzt seit drei Jahren. In dieser Zeit hatte Nicholas zwar große Fortschritte gemacht, aber es war ihm bis jetzt noch kein einziges Mal gelungen, den Waffenmeister zu besiegen.
Die Fensterläden waren geschlossen, aber in der Hütte brannte Licht. Nicholas klopfte. Er hörte, wie jemand einen Stuhl über den Holzboden schob, dann wurde der Riegel zurückgelegt, und die Tür öffnete sich.
Im flackernden Kerzenlicht gruben sich die Falten in Stephans Gesicht noch tiefer. Sein kurzgeschnittenes graues Haar war zerzaust. Trotz der sommerlichen Jahreszeit trug er einen Winterpullover und dicke Hosen. »Bei allen Schwertern«, sagte er, »du bist ja völlig durchnäßt. Komm herein, bevor du dir den Tod holst.«
Nicholas strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Seine Hände waren vor Kälte rot angelaufen. »Nein«, antwortete er. »Komm raus. Es ist Zeit für unser Training.«
»Nicht bei diesem Wetter«, erwiderte Stephan.
»Ich muß lernen, bei jedem Wetter zu kämpfen«, sagte Nicholas.
»Aber ich muß dich nur bei Sonnenschein unterrichten. Los, komm rein und trockne dich erst einmal ab.«
Nicholas trat ein. Stephan war der einzige Bedienstete, der es sich erlauben durfte, einen so respektlosen Ton anzuschlagen. Wahrscheinlich deshalb, weil er auch der einzige war, dem Nicholas völlig vertraute.
In der Hütte war es warm, im Kamin brannte Feuer, und auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch. Stephan war einfach, aber gemütlich eingerichtet. »Was hast du dir nur gedacht?« fragte er. »Du weißt doch genau, daß wir bei solchem Wetter niemals kämpfen.«
»Es regnet jetzt schon seit drei Tagen«, sagte Nicholas. »Ich habe es satt, immer nur in der Stube zu hocken.«
»Du wirst dort bleiben, bis dieses Unwetter aufhört.«
»Das kann aber noch lange dauern. Normalerweise regnet es im Sommer nie.«
»Ich weiß.« Irgendwie brachte Stephan es fertig, diesen beiden Worten einen unheilvollen Klang zu verleihen.
Obwohl Nicholas sich gerne am Feuer aufgewärmt hätte, wäre es ihm nicht in den Sinn gekommen, dies ohne Stephans ausdrückliche Aufforderung zu tun. Der Raum war nicht groß und mit zwei Tischen, drei Stühlen und einer bescheidenen Bettstatt bereits gut gefüllt. An einer Wand stand ein Kleiderschrank, die restlichen Wände waren mit Schwertern und Messern in den unterschiedlichsten Formen und Größen dekoriert. Nicholas hatte seine Zweifel daran, ob all diese Waffen
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