Fey 04: Die Nebelfestung
zusammenbrach, fragte er mich, ob ich Hilfe brauchte. Ich habe nein gesagt.«
»Siehst du?« sagte seine Mutter. »Diese Verbindung hält das ganze Leben.«
Gabe verzog das Gesicht. Er hatte nicht gewußt, daß Verbindungen für immer waren. Etwas verwirrte ihn daran.
»Ich hoffe, du hast recht«, seufzte sein Vater. »Ich versuche Streifer zu erklären, daß er noch warten muß. Das wird ihm nicht gefallen.«
»Er sollte den Jungen nicht unter Druck setzen«, sagte seine Mutter.
»Der Junge hält das Schattenland zusammen«, sagte sein Vater. »Er ist jetzt unser Anführer.«
»Noch nicht.« Die Mutter lächelte Gabe an. »Er braucht noch eine Weile, bis er erwachsen ist. Die Schamanin wird ihm helfen. Das hat sie bereits versprochen.«
»Das hoffe ich«, erwiderte sein Vater. »Die ganze Sache ist zu verfahren, um sie einem Dreijährigen aufzubürden.«
Er ging zur Tür hinaus. Gabe sah ihm nach. Seine Mutter lächelte. »Laß ihn gehen, Gabe«, sagte sie. »Er hatte gehofft, dir beim Führen helfen zu können. Aber Irrlichtfänger haben in der Führung nichts verloren. Er fängt jetzt schon an, Fehler zu machen. Er glaubt, er müsse eine Lösung finden, weil er der einzige Überlebende des Angriffs auf diesen heiligen Mann ist. Er begreift nicht, daß wir ohne Rugar diese Angriffe wahrscheinlich gar nicht durchführten.«
»Ich höre lieber auf dich als auf die Schamanin«, sagte Gabe.
Seine Mutter ließ sich in die Kissen zurücksinken. In letzter Zeit ermüdete sie immer so schnell. »Ich bin auch ein Irrlichtfänger, Gabe. Ich sehe alles ein wenig klarer als dein Vater, aber nicht viel. Die Schamanin ist die einzige, die dir helfen kann.«
Und Coulter, dachte Gabe, sagte aber nichts.
»Ich brauche deine Hilfe, mein Sohn«, sagte seine Mutter. Sie rückte das Kissen mit der guten Hand zurecht und schloß die Augen.
Er ging zum Feuer hinüber und starrte hinein. Coulter zu sehen hatte ihn besorgt. Wenn er und Coulter sich vorher über die Verbindung unterhalten hatten, war es wie ein Zwiegespräch in seinem Kopf gewesen. Diesmal jedoch war Coulters Persönlichkeit zur Seite getreten, um Gabe in seinen Körper treten zu lassen, und mit einem Mal hatte Gabe auf dieser Straße gestanden und aus Coulters Augen geblickt, Coulters Hände bewegt und gefühlt, was Coulter fühlte. Gabe hatte diese Erfahrung schon zuvor gemacht – jedesmal, wenn er dem Palast einen Besuch abstattete.
Allerdings wußte er nicht, wessen Augen er dort benutzte.
Bis heute morgen war ihm nicht einmal klargewesen, daß er überhaupt einen anderen Körper benutzte.
Sobald er an Coulters Stelle getreten war, hatte er Coulter nicht einmal mehr gespürt. Erst als er aus seinen Augen getreten war – er wußte nicht, wie er den Vorgang anders benennen sollte –, erst dann hatte er Coulters Anwesenheit wieder gespürt. Einen Augenblick lang schienen sie am gleichen Ort zu sein, in der Lage, sich ohne Worte auszutauschen.
Gabe hatte in dem Körper im Palast jemanden beiseite geschoben.
Und das war nicht richtig.
Er würde es nicht gutheißen, wenn jemand das mit ihm machte.
Es beunruhigte ihn. Er hatte nicht gewußt, daß er mit seiner richtigen Mutter Verbunden gewesen war und daß auch eine dünne Verbindung zu seinem richtigen Vater bestand. Doch seine starken Verbindungen außerhalb der Schattenlande bestanden zu Coulter und zu dieser Person im Palast. Einer Person, an die er noch nie gedacht hatte.
In diesem Moment stieg eine Erinnerung in ihm hoch:
In seinem Bett … da lag ein anderes Kind. Die Augen weit offen, aber leer. Das Kindermädchen strich ihm mit der Hand über die Wange.
»Du bist ja ganz kalt, mein Lämmchen«, sagte sie.
Die kleine Frau hüllte sich in den Vorhang, der das Bettchen umgab. Sie bewegte die Finger, und das kleine Kind gurrte. Das Kindermädchen lächelte.
Er sah das Kind an, das ihn ersetzt hatte. Es sah aus wie er, aber er war es nicht. Eben noch war es ein Stein gewesen.
Ein Stein.
Er hatte dieses Kindermädchen seither wieder gesehen, auch dieses Zimmer, und jetzt schlief ein anderes Kind in seinem Bett. Ein kleines Mädchen. Seine Schwester.
Er sah durch die Augen des Wechselbalgs. Durch die Augen eines Steins, den jemand an seiner Statt dort gelassen hatte.
Den seine Eltern, die Irrlichtfänger, an seiner Stelle dort hingelegt hatten.
Er wollte die Schattenlande nicht verlassen, aber vielleicht, ja, vielleicht war es ihm möglich, trotzdem draußen überall hinzugehen. Dann konnte
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