Fey 06: Die Erben der Macht
Männern in die Schlacht vorangegangen. Vielleicht müßt Ihr das auch tun.«
Humes Worte standen zwischen den beiden Männern in der Luft. Titus trat von der Tür zurück. »Ihr könnt jetzt gehen«, sagte er.
Hume nickte und verließ das Zimmer.
Das Religionsoberhaupt als Kriegsfürst. Das Schwert … Waffe und Symbol zugleich. Weihwasser … religiöse Reinigung und Mordinstrument.
Eins kam zum anderen.
Und das verabscheute Titus ganz besonders.
3
Die Finger auf seinem Gesicht fühlten sich kühl und leicht an. Nicholas fuhr aus dem Schlaf hoch. Sebastian beugte sich über ihn. Die Haut um seine grauen Augen war vor Sorge ganz zerknittert.
»Papa …«, sagte er leise.
Nicholas streckte sich. Er hatte eigentlich nicht einschlafen wollen. Er hatte in Sebastians Zimmer auf dem Stuhl neben dem Kamin gesessen. Er hatte sich nur für einen Moment hingesetzt, nachdem er Wachen zu seinen Kindern geschickt hatte, und er fragte sich, wie ein Kind, das so untrennbar zu seinem Leben gehörte, nicht sein eigen Fleisch und Blut sein konnte. Die Tatsache, daß Sebastian nicht einmal menschlich, sondern aus Stein war, machte alles noch unsinniger.
Die Morgensonne tauchte das Zimmer in sanftes Licht, das sich langsam über den Boden ausbreitete und die Dunkelheit vertrieb. Es war noch rosa von der Dämmerung. Sebastian kauerte im Nachtgewand neben Nicholas’ Stuhl.
Wieder strich er vorsichtig mit dem Finger über Nicholas’ Gesicht.
»Papa?«
Schnell ergriff Nicholas Sebastians Hand und drückte die harte, glatte Handfläche, bevor er losließ. »Ich bin wach, mein Sohn«, sagte er. Bei dem Wort ›Sohn‹ überlief ihn ein Schauer. Es war gleichzeitig richtig und falsch.
»Papa …«, sagte Sebastian und wies mit der linken Hand zum Fenster. Er schien aufgeregt zu sein. Seine Unterlippe zitterte, und er rutschte unruhig hin und her.
Nicholas fuhr mit der Hand durch das strohige Haar seines Sohnes und erhob sich. Er trug immer noch die Staatsrobe, die er gestern abend angelegt hatte. Er hatte nicht lange geschlafen. Die Runde im Kriegszimmer hatte sich kurz vor Morgengrauen aufgelöst, und Nicholas war hierhergekommen, um sich davon zu überzeugen, daß seine Kinder gut bewacht waren. Er hatte eigentlich geplant, dem Rocaan am frühen Morgen einen Boten zu schicken. Ihr Zwist hatte lange genug gedauert. Sie mußten einfach zusammenarbeiten.
Die Schuhe drückten ihn, und seine Kleider fühlten sich unangenehm klebrig an. Sebastian rückte beiseite, als Nicholas jetzt ans Fenster trat.
Genau wie er erwartet hatte, herrschte draußen rosige Morgendämmerung. Wolken in den verschiedensten Rottönen trieben über den Himmel und vermischten sich mit dem ersten, beständigeren Gelb. Es duftete nach Rosen und Gras. Ein schöner Tag kündigte sich an.
Sebastian schob sich neben ihn und zeigte jetzt hinab. Nicholas stützte sich auf die steinerne Brüstung und spähte hinunter.
Unten in den Gartenanlagen herrschte eine sonderbare Stille. Normalerweise vermischte sich das Tirilieren und Zwitschern der Vögel zu einem lauten Morgengruß. Heute morgen saßen sie in den Bäumen, Sträuchern und auf dem Gras. Hunderte und Aberhunderte Stare, Rotkehlchen und Möwen blickten unbeweglich auf den Palast. Nicholas hatte einen Teil dieser Vögel noch nie gesehen. Er erkannte Adler, aber nicht die großen Vögel neben ihnen. Auf den oberen Ästen saßen Vögel mit langen bunten Schnäbeln. Sie waren größer als Katzen, und ihre Schnäbel sahen so kräftig aus, als könnten sie damit kleinere Tiere zerhacken.
Nicholas blickte nach links. Nichts als Vögel, die einen Kreis um den Palast gebildet hatten. Er blickte nach rechts. Noch mehr Vögel. Dann zog er sich vom Fenster zurück, durchquerte den Raum und sah aus dem Fenster, das auf die andere Seite hinausging. Auch dieser etwas weiter entfernte Teil des Gartens war voller Vögel, und noch mehr saßen auf der Steinmauer, die den Palast schützend einfaßte. Als Nicholas zum Küchentrakt hinüberblickte, sah er die Vögel dort so dicht nebeneinander sitzen, daß sie den Hof wie eine Art Teppich bedeckten.
»Papa …«, sagte Sebastian leise. Er zeigte nochmals auf die Vögel. Nicholas kniff die Augen zusammen.
Auf jedem Vogelrücken saß ein winziger Fey.
Nicholas wich so rasch vom Fenster zurück, daß er fast über den anderen Stuhl gefallen wäre. Mit beachtlicher Geistesgegenwart hielt Sebastian die Lehne gerade noch rechtzeitig fest.
»Was ist das?«
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