Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
verschwand er wie aus dem Blick eines Tauchers, der sich auf den Meeresgrund hinabgelassen hat.
       Angus blieb stehen und lauschte, er glaubte einen unterbrochenen, schwachen Pfeifton zu hören. Er drehte den Diglator nach links und rechts, bis der greinende Ton, jetzt ganz deutlich, in beiden Ohren gleich stark vernehmbar war.
       Es war nicht der Gral selbst, sondern die Kursfunkbake des Großen Zackens. Er hatte direkt darauf zuzugehen, und falls er vom Wege abkam, verdoppelte sich das Signal je nach der Abweichung: Hielt er sich zu weit rechts, also in die verhängnisvolle Richtung der Depression, so würde er im rechten Ohr ein warnendes Jaulen hören, wich er aber nach links ab, auf die unzugänglichen Felswände zu, so würde sich das Signal nicht ganz so alarmierend, aber doch in einem auffälligen Baßton melden. Der Schrittmesser zeigte die hundertste Meile an. Das größte und technisch schwierigste Wegstück hatte er hinter sich, das kürzere, heimtückischere lag, in tiefen Dunst versenkt, noch vor ihm. Die massiven Wolken standen jetzt sehr hoch und dunkel, die Sicht betrug ein paar hundert Meter, das Aneroid ließ keinen Zweifel, daß sich von hier die eigentliche Senke der Depression erstreckte, genauer gesagt, vorerst noch ihr verläßlicher, fester Rand.
       Er schritt aus und verließ sich auf Ohr und Auge zugleich. Die Gegend war von Schnee erhellt, gefrorenem Kohlendioxyd und anderen erstarrten Anhydriden. Unter dem Weiß ragten vereinzelt Findlinge hervor, Spuren des Gletschers, der einst von Norden her in die Kluft des vulkanischen Massivs eingedrungen war, sie mit seinem nach Süden kriechenden Körper vertieft und umgepflügt hatte. Dadurch waren Felsblöcke ins Grundeis gekommen, die der Gletscher ausspie und im chaotischen Rückzug als verstreute Moräne liegenließ, als er wich oder durch die den Tiefen des Titan entströmende magmatische Erwärmung abtaute. Die Landschaft hatte sich umgekehrt, als habe sie unten einen Wintertag hingebreitet und die wolkendunkle Nachtseite darüber gedeckt. Angus hatte nicht einmal mehr den eigenen Schatten zum Begleiter. Sicheren Schrittes stapfte er vorwärts, senkte die kristallbestäubten eisernen Schuhe in den Schnee. In den Panoramarückspiegeln konnte er die eigenen Spuren sehen — sie wären eines Tyrannosauriers würdig gewesen, jenes größten zweibeinigen Raubtiers des Mesozoikums. Bei diesen Blicken prüfte er gleichzeitig, ob die hinterlassene Spur auch immer noch gerade war. Indessen hatte er seit geraumer Zeit ein sonderbares Gefühl, das er als unmöglich von sich zu weisen suchte: Er hatte immer mehr den Eindruck, daß er nicht allein in der Kabine war, daß sich hinter ihm ein anderer Mensch befand, dessen Anwesenheit er an seinen Atemzügen erkannte. Er zweifelte nicht daran, daß es eine Täuschung war, verursacht möglicherweise durch eine Ermüdung des Gehörs, das von der Eintönigkeit der Funksignale abgestumpft war, aber schließlich fühlte er sich von dieser Täuschung so eingekreist, daß er den Atem anhielt. Daraufhin gab der andere einen gedehnten, deutlich hörbaren Seufzer von sich. Von einer Täuschung konnte nun wohl keine Rede mehr sein. Er erstarrte, stolperte, der Koloß kam ins Schleudern. Im Aufglühen der Anzeigen und im Aufheulen der Turbinen fing Angus ihn ab, bremste, ging immer langsamer und blieb stehen.
       Der andere atmete nicht mehr. War es doch nur ein Widerhall aus den Maschinenschächten des Diglators gewesen? Im Stehen suchte er mit den Augen das Gelände ab, bis er in den unermeßlichen Schneefeldern einen schwarzen Strich erblickte, ein Ausrufezeichen, mit Tusche auf das Weiß des Horizonts gezeichnet, dorthin, wo die Helligkeit nicht verriet, ob sie ein Wall von Schnee oder von Wolken war. Obwohl Angus noch nie in einer ähnlichen winterlichen Szenerie einen Großschreiter aus meilenweiter Entfernung gesehen hatte, beherrschte ihn die Gewißheit, das könne nur Pirx sein. Er machte sich also auf den Weg zu ihm, ohne sich im geringsten um die sich verstärkende Doppelung der Signale im Kopfhörer zu scheren. Er beschleunigte seine Schritte. Das schwarze Zeichen vor der weißen Wand wurde zu einer kleinen Gestalt, die zappelte, weil auch sie schnell marschierte. Nach einer knappen Viertelstunde zeigten sich ihre wahren Ausmaße.
       Eine halbe Meile trennte sie von Angus, vielleicht etwas mehr. Warum meldete er sich nicht, warum rief er ihn nicht an? Er wußte es selber nicht, er wagte

Weitere Kostenlose Bücher