Final Cut - Etzold, V: Final Cut
berechnenden, geduldigen und gerissenen Mörder zu tun hatten. Und wenn er der Polizei sogar mehr oder weniger den Tatort mitteilte, war er entweder gnadenlos dumm, oder er konnte sich diese Offenlegung leisten. Clara fürchtete Letzteres. Denn wie hatte MacDeath gesagt? Das ist einer von der übleren Sorte .
Sie standen in einem vom Sektionssaal abgetrennten Raum, bei dem man durch eine große Glasscheibe den Obduzenten bei der Arbeit zuschauen konnte. Jasmin Peters’ Überreste lagen auf dem mittleren der fünf Tische im Obduktionssaal von Moabit. Einer der Sektionsassistenten entfernte soeben etwas aus ihrer Bauchhöhle und beförderte es in einen gläsernen Asservatenbehälter.
Clara nahm noch einen großen Schluck Kaffee und war dankbar für dessen kräftiges Aroma, das den süßlichen Todesgeruch in ihrer Nase ein wenig überdeckte. Einerseits fühlte sie sich hellwach, andererseits konnte sie nicht verleugnen, dass sie in der letzten Nacht gerade mal drei Stunden geschlafen hatte. Und auch der viele Whisky von gestern Abend lag noch wie ein Stein in ihrem Kopf.
»Wir werden noch eine Weile für die Leiche brauchen«, sagte von Weinstein. »Die Identifizierung ist ja auch noch nicht zu hundert Prozent erledigt.«
Die Rechtsmediziner würden dafür den Zahnstatus ermitteln, ein Vorgang, bei dem Clara nicht unglücklich war, dass sie ihn nicht gesehen hatte. Da alle Menschen ein individuelles Gebiss hatten, konnte man anhand der Zähne relativ einfach die Identität einer Person feststellen, wenn Röntgenaufnahmen oder der Zahnstatus vorlagen. Dafür wurden der Kiefermuskel durchtrennt, die Gelenke geöffnet und der Unterkiefer entfernt. Beim Oberkiefer wurden Knochen und Zähne aus dem Jochbein gesägt. Clara hatte das einmal gesehen, und es hatte ihr gereicht.
Ober- und Unterkiefer wurden dann in die Abteilung für Endontologie gegeben und dort mit bestehenden Akten und Röntgenbildern abgeglichen.
»Und das Mordmotiv ist ja auch noch nicht geklärt.« Von Weinstein bewegte den Kopf in Richtung Obduktionssaal. »In diesem Stadium des Zerfalls eine Vergewaltigung festzustellen, ist nicht so einfach. Auch was Misshandlungen vor der Tat angeht, wird es schwierig.« Er trank den Kaffee aus.
»Wie lange werden Sie brauchen?«, fragte Winterfeld und fuhr sich mit der linken Hand durch die Haare, während er mit der rechten die Kaffeetasse zum Mund führte.
»Wir müssten spätestens gegen Mittag fertig sein.« Er warf einen Blick an Clara vorbei in den Sektionssaal. »Ich rufe Sie sofort an, und die Akte kommt dann gleich hinterher. Vielleicht komme ich auch selbst vorbei.«
»Machen wir so, vielen Dank«, sagte Clara.
Ihr Handy klingelte. Eine Nummer des LKA.
»Clara Vidalis.«
»Clara, hier ist Hermann«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Ich sitze hier mit den Computertechnikern. Wir durchforsten gerade Jasmins Laptop.«
»Und?«
»Ihrem Facebook-Account zufolge ist Jasmin Peters noch sehr lebendig.«
Adrenalin schoss durch Claras Venen und versetzte ihr einen stärkeren Kick, als Kaffee es je vermocht hätte. »Wie bitte?«, stieß sie hervor.
Winterfeld und MacDeath blickten sie neugierig an.
»Sie hat seit März ununterbrochen mit ihren Freunden kommuniziert«, sagte Hermann.
Clara nahm das Handy ein wenig vom Ohr und blickte fassungslos in den Obduktionssaal, in dessen Mitte sie schemenhaft den verschrumpelten Körper der jungen Frau sah, die bis vor Kurzem angeblich noch online mit ihren Freunden kommuniziert hatte.
»Was sagst du da?«
»Das letzte Posting«, sagte Hermann, »ist von gestern.«
»Wir sind sofort da!« Clara beendete das Gespräch. »Ich erkläre alles im Auto«, sagte sie zu Winterfeld und MacDeath, während sie schon Mantel und Tasche ergriffen hatte und zielstrebig zum Ausgang marschierte. »Wir müssen sofort ins Revier.«
26.
In der Abteilung für Kriminaltechnik saß Hermann mit zwei Computertechnikern an einem großen Schreibtisch, der mit Schrauben, Platinen, flüchtig beschrifteten CDs und DVDs, Laufwerken, Festplatten, Computerzeitschriften, USB-Sticks und Kabeln übersät war. Clara hatte sich immer gefragt, wie man in diesem Chaos arbeiten konnte, doch bisher hatte die IT-Abteilung stets einen guten Job gemacht, und so gehörte das Chaos wohl dazu oder war als Auflockerung geradezu notwendig in einer ansonsten sterilen Welt aus reiner Logik – einer Welt, die nur aus Einsen und Nullen bestand. In der Mitte des Tisches stand der geöffnete Laptop von
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