Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Facebook sie noch aktiv war.«
»Und was könnte das sein?«, fragte Clara.
»Alles Mögliche.« Hermann hob eine der CDs auf, die auf dem überladenen Tisch lagen, und blickte blinzend auf die glänzende Oberfläche. »Andere Social-Network-Seiten, Karrierenetzwerke ...«
Plötzlich fiel Clara etwas ein.
»Wie sieht es mit Kontaktseiten aus? Partnervermittlung?«
Hermann nickte, kratzte sich am Kopf und legte die CD wieder auf den Tisch.
»Aber hatte sie das nötig?«, fragte er. »Offenbar war sie Single, aber so, wie sie aussah, konnte sie jeden haben.«
»Das denkt ihr«, sagte Clara. »Hübsche Frauen haben es oft schwer, den Richtigen zu kriegen, weil die Kerle, die sie interessant finden, sich nicht trauen, die Mädels anzusprechen. Und die sich trauen, sind oft dumme Prolls.«
»Ist das so?«, fragte Hermann.
Clara lächelte und nickte.
»Und deswegen soll sie auf Kontaktforen gehen?«, fragte Hermann. Diese Experteneinsicht in die weibliche Psyche schien ihn zu interessieren.
»Das könnte ein Grund sein.« Clara setzte sich auf die Tischplatte und blickte aus dem Fenster, wo eine matte Mittagssonne kurz durch die tief hängenden Regenwolken schien. »Ein anderer Grund ist, dass sie dort von sehr vielen Menschen gesehen wird, viel mehr als in der realen Welt.«
»Digitaler Exhibitionismus?«, fragte Hermann.
»Eine andere Art von Ego-Shooter«, sagte Clara. »Jungs spielen Computerspiele – Halo , Medal of Honour und den ganzen Mist –, hübsche Frauen kriegen ihre 15 Minuten Berühmtheit oder mehr auf solchen Plattformen. Dauernd kommen Mails von möglichen Verehrern, die man allesamt genüsslich in den Papierkorb werfen kann. Die Macht einer schönen Frau, die vom Internet potenziert wird. Es sei denn«, Clara erhob sich wieder, »man gerät an den Falschen.«
»An einen Irren mit einer Vorliebe für Splatterfilme und fleischfressende Käfer?« Hermann knisterte mit der Gummibärchentüte, ohne etwas zu essen.
Clara nickte. »Die Spur sollten wir weiterverfolgen. Die gängigen Plattformen. Und die exotischen.«
Hermann nickte den zwei IT-Technikern zu. »Okay«, sagte er, »checken wir das mal durch. Wir melden uns in zwei Stunden. Dann sollten wir was haben. Oder?« Er sah die beiden Techniker an und hob die Augenbrauen.
Die Männer nickten.
Hermann schaute Clara treuherzig an, wieder ganz der Teddybär, der er sein konnte; dann schweifte sein Blick noch einmal über den Monitor. Plötzlich weiteten sich seine Augen, und er tippte mit dem Finger so heftig auf die Facebook-Seite, als wollte er den Bildschirm zerstören.
»Verdammt. Da! «
Jetzt sah auch Clara das Posting. Genau eine Sekunde alt.
Diesmal war es nicht nur der saure Geschmack, der ihr die Kehle hinaufkroch. Diesmal musste sie tief durchatmen, um sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben, als sie die vier Worte sah, die in diesem Moment aus Jasmins Facebook-Konto auf der Facebook-Pinnwand aufgetaucht waren:
Jasmin Peters ist tot.
27.
Clara saß in ihrem Büro, während der Herbstregen mit aggressiver Penetranz gegen die Scheiben schlug.
Der Killer war online gewesen, als sie online gewesen waren; er hatte aus Jasmin Peters’ Account die letzte, grausame Wahrheit gepostet, die ohnehin schon jeder wusste.
Jasmin Peters ist tot.
Die IT war mit Hochdruck dabei, die IP-Adresse herauszufinden, um Anhaltspunkte zu bekommen, von welchem Computer aus die Nachrichten geschrieben worden waren.
In einer Welt, in der die Kommunikation mehr und mehr ins Digitale wandert, ist der lebendig, der digital lebendig ist, dachte Clara. Auch wenn er in Wirklichkeit tot ist.
Sie hatten sich noch die anderen Postings angeschaut. Irgendwie hatte es der Killer, der nach Jasmins Tod ihre gesamte Kommunikation übernommen hatte, hinbekommen, jeglichen telefonischen Kontakt zu unterbinden. Aber war das schwierig?, überlegte Clara. Nicht so schwierig, wie man meinen sollte. Wenn man in China ist, versteht es sich von selbst, dass man auf teure Telefonate mit europäischen Handys verzichtet. Die Zeit, ein chinesisches Prepaidhandy zu kaufen und sich mit der Betriebsanleitung herumzuärgern, hat man nicht, also versucht man es mit Skype. Und das funktioniert dann nicht, weil es gerade kein WLAN gibt, weil die Verbindung zu langsam ist, weil man ja nicht in Europa ist, wo der technische Standard höher ist, und so weiter.
Clara erinnerte sich an die Mails von Jasmins Eltern, die sie an das Skype-Konto ihrer Tochter geschickt hatten:
Schade,
Weitere Kostenlose Bücher