Finale auf Föhr
grausigen Fund, den der Arzt nun betrachtete. Am Tod kein Zweifel. Die Möwen hatten ihn zwar schon ganz schön zugerichtet, aber eine tödliche Wunde war nicht zu erkennen. »Wenn das mit den Schnitten nicht wäre, würde ich auf Tod durch Ertrinken tippen«, meinte der Arzt schließlich. Die beiden Sanitäter nickten. Es wäre nicht der erste Ertrunkene, den sie gesehen hätten.
»Hier können wir nichts weiter machen«, stellte Dr. Sanders fest. »Wir werden ihn nach Husum bringen, zur Obduktion. Alles Weitere ist Sache der Polizei.« Dem war nichts hinzuzufügen. Die Polizei war verständigt und würde am Deich auf die Wattwanderergruppe warten. Die beiden Sanitäter hoben den Toten auf die Bahre und brachten ihn zum Hubschrauber. Der Arzt folgte ihnen, nachdem er sich verabschiedet hatte. Mit ohrenbetäubendem Dröhnen stieg die Maschine auf, gewann rasch Höhe und verschwand schließlich Richtung Festland.
Hans-Jürgen Hansen rief die Gruppe zusammen und teilte ihr mit, dass die Wanderung heute leider endgültig abgebrochen werden müsse. Sie würden jetzt zum Dunsumer Deich zurückgehen, wo man ihnen das Geld erstatten werde. Er und seine Kollegen stünden gern bereit, um sie an einem der nächsten Tage über das Watt zu führen. Aber jetzt sollten sie bitte Verständnis haben. Am Deich solle die Gruppe bitte unbedingt zusammenbleiben, da die Polizei sicher die Personalien aufnehmen und vielleicht auch Fragen stellen würde.
Ja, das war klar. Na gut. Laut diskutierend setzte sich die Gruppe in Bewegung, Hansen voran, Richtung Föhr.
Warten am Deich
Polizeihauptkommissar Klaus-Henning Asmussen schaute vom Dunsumer Deich auf die Wattwanderergruppe, die sich langsam näherte. Wattführer Hansen hatte ihn telefonisch alarmiert. Kurz darauf hatte sein Freund Carl angerufen, der mit seiner Frau Renata beim Fund der Leiche dabei gewesen war. Er konnte sich keinen Reim auf diese Geschichte machen, aber noch wussten sie außer der nicht offiziell bestätigten Identität des Toten gar nichts. In diesem Stadium waren Spekulationen mehr als überflüssig. Was zählte, waren Fakten, Fakten, Fakten, wie es treffend hieß.
Carl war sein bester Freund seit ... ja, genau 33 Jahren, als sie in der Sexta A des Gymnasiums zusammengetroffen waren und ihre erste Prügelei, gleich am zweiten Tag, hinter sich gebracht hatten. Von da an hatten sie eine unzertrennliche Gemeinschaft gebildet. Die hatte sich damals nicht nur in der Abwehr der Attacken der fiesen Möppe auf dem Schulhof und bei der notwendigen gegenseitigen Unterstützung bei Klassenarbeiten bewährt. Sie hatten in den Jahren bis zum Abitur alles miteinander geteilt. Na ja, fast alles. Die ersten zarten Beziehungen zum anderen Geschlecht hatten sie gewissermaßen aus ihrer Freundschaft ausgeklammert. Da waren Jungen wohl völlig anders als Mädchen – jedenfalls damals. Später hatte sich das geändert. Er war Carls Trauzeuge gewesen, und Carl seiner. In dem schwierigen Prozess der Trennung von seiner Frau war Carl eine Stütze gewesen, eine Art seelischer Beistand. Die stundenlangen Telefonate, die sie traditionell einmal im Monat führten, hatten sehr geholfen. Das war nun auch schon eine Zeit her. Mindestens einmal im Jahr trafen sie sich, in den letzten beiden Jahren auf Föhr. Seitdem er hier die Leitung der Dienststelle übernommen hatte.
Asmussen dachte ohne Zorn an seine Ex-Frau. Sie hatten sich geliebt, dann war das allmählich erkaltet. Sie hatten sich eine Weile etwas vorgemacht, er deutlich länger als Frauke. Inzwischen kamen sie sehr gut miteinander aus, der alte Groll war überwunden. Es war ja auch schon mehr als zehn Jahre her. Als Carl und Renata zum ersten Mal auf der Insel Urlaub machten, hatte er sie ohne Zögern an Frauke empfohlen. Von allein hätte sich Carl nicht bei ihr einquartiert, er hielt eben doch mehr zu seinem Freund.
Aber Frauke hatte wirklich schöne Zimmer und Appartements. Den Bauernhof ihrer Eltern hatte sie vorbildlich umgebaut, ohne den ursprünglichen Stil der Gebäude zu verändern. Gelegentlich traf er sich auch mit seiner Ex-Frau. Er horchte in sich hinein. Nein, Liebe war es nicht mehr, was ihn mit ihr verband, aber immer noch – besser: wieder – eine herzliche, freundschaftliche Zuneigung. Mit einem ganz kleinen Stich in einer Ecke seines Herzens. Jedenfalls, wenn Fraukes Freund, der nach Föhr »ausgewanderte« italienische Koch, dabei war.
Asmussen musterte seine kleine Truppe, die auf der Deichkrone bei Dunsum
Weitere Kostenlose Bücher