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entwickeln. Das Bedürfnis danach ist angeboren, und wir verbringen unser gesamtes Leben
damit, es zu befriedigen. Gelingt uns das, entwickeln wir eine Reihe von Charaktereigenschaften und Merkmalen, die uns von
anderen – nicht verwirklichten – Menschen unterscheiden. Diese Merkmale sind unter anderem Selbstbewusstsein, Kreativität,
Spontaneität, Offenheit für Neues, Bereitschaft zu Grenzerfahrungen, Sinnhaftigkeit und ein herausforderndes Wesen.
Abraham Maslow hat vor 50 Jahren ein Modell entwickelt, das er die Bedürfnishierarchie nannte und das Sie möglicherweise unter
dem Namen der Maslowschen Bedürfnispyramide kennen (siehe Abbildung 1, Seite 34). Es hat bis heute nichts von seiner Aktualität
verloren. In dieser Pyramide sind physiologische, Sicherheits-, Liebes-, Selbstachtungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse
hierarchisch geordnet.
Zu den physiologischen Bedürfnissen zählen zum Beispiel Nahrung, sexuelle Stimulation und ein Dach über dem Kopf zu haben.
Zu den Sicherheitsbedürfnissen gehören ein sicherer Arbeitsplatz, Gelassenheit, Ruhe und Frieden. Liebesbedürfnisse drücken
sich in der Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer Familie oder einem System aus. Erst wenn diese Grundbedürfnisse befriedigt
sind, wir also satt im Trockenen sitzen und uns in unserem sozialen Umfeld akzeptiert fühlen, können sich die »höheren« Bedürfnisse
entwickeln, zu denen eine positive Selbstwertschätzung, Anerkennung für besondere Leistungen und in der höchsten Stufe die
Entdeckung von Sinn und der eigenen Berufung gehören. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich für die französische Literatur
des späten 16. Jahrhunderts interessieren und Ihr Leben danach ausrichten, wird also geringer, wenn Sie obdachlos sind. Die
Grundbedürfnisse sind überlebenswichtig, |34| die höheren Bedürfnisse stellen sich erst ein, wenn das Überleben gesichert ist. Die Beschäftigung mit französischer Literatur
kann demnach länger aufgeschoben werden als die Befriedigung von Hunger oder Durst. Eine »Nichtbefriedigung« der Bedürfnisse
nach Selbstachtung und Selbstverwirklichung bewirken kurzfristig auch keine direkte Notfall-Reaktion, wie Sie sie zum Beispiel
erleben, wenn Sie plötzlich von einem Wolkenbruch überrascht werden und ins Trockene möchten. Sie streben aber trotzdem irgendwann
nach Ausdruck in Ihrem Leben, weil sie Sie einfach glücklich machen können.
Abbildung 1: Die Maslowsche Bedürfnispyramide
Das Modell der Bedürfnishierarchie bietet eine mögliche Erklärung, warum wir uns erst im Laufe unseres Lebens mit dem Thema
Berufung beschäftigen. Erst wenn Sie ein einigermaßen geregeltes |35| Einkommen, ein stabiles soziales Umfeld und erste Anerkennung gefunden haben, machen Sie sich normalerweise auf die Suche
nach »mehr«.
Ein Sonderfall ist es, wenn Sie zum Beispiel auf Grund einer Umstrukturierung arbeitslos geworden, das heißt, Ihrer »sicheren«
Arbeitsstelle beraubt sind und dennoch die Möglichkeit zu einer kompletten beruflichen oder auch persönlichen Neuorientierung
nutzen. Als »sichere« Basis dienen in dem Fall ein berufstätiger Partner, ausreichende Rücklagen oder eine gute Abfindung
des ehemaligen Arbeitgebers. Auch das funktioniert – und immer mehr Menschen nutzen diese Chance, statt die erstbeste neue
Stelle zu ergreifen, die man ihnen anbietet.
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Chancen gibt’s genug
Kindheit, Pubertät und Lebensmitte sind die besten Zeitpunkte, um die eigene Berufung zu entdecken. Wenn Kinder die Möglichkeit
bekommen, in Ruhe zu spüren, wohin sie gehen möchten, können sie von Anfang an ihren eigenen Weg finden. Bei manchen Menschen
zeigt sich schon in frühester Kindheit die Begabung so deutlich, dass sie selbst und auch ihre Umgebung keinen Zweifel daran
haben können. Bei den meisten Jugendlichen ist es heute aber wohl eher so, dass sie in der Schule mit Lernstoff und zu Hause
von Fernseher, Internet und Computerspielen überflutet werden und kaum noch eine Chance haben, sich darauf zu konzentrieren,
was sie wirklich im Leben wollen. Wenn es um die Wahl des Berufs geht, steht bei den meisten Eltern noch immer der Wunsch
nach einem Job mit guten Zukunftsaussichten und Verdienstmöglichkeiten für ihre Kinder im Vordergrund. Lehrer und Massenmedien
tun ein Übriges, um die jungen Leute auf Kurs zu bringen. Doch selten auf ihren eigenen.
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