Finne dich selbst!
eine Kiste Schöfferhofer Weizen eingepackt, für Axels Schwiegereltern. Und eine Kiste Barre Bräu für Axel. Das ist inzwischen erlaubt, EU -Recht. Für den Eigenbedarf darf man Alkohol mitnehmen, und die Menge ist ja bekanntlich Auslegungssache.
»Watt is datt denn?«, fragt Ilse beim Einpacken, als sie das Weizenbier sieht.
»Gastgeschenk«, sage ich.
»Ich hatte doch gesagt: kein Bier!« Meine Mutter schüttelt den Kopf, starrt auf die Kiste und wird dann sofort wieder die praktische, ostwestfälische Hausfrau, von der ich jederzeit lernen kann: »De bruket dovo no de Gläser. Hässt du keine?« Die brauchen dafür noch die richtigen Gläser. Hast du keine?
»Weizenbiergläser? Nee, bin ich nicht drauf gekommen.«
»Ick bin gliecks wier dor.« Und schon steigt sie aufs Fahrrad, radelt zum dorfeigenen Getränkemarkt, kauft bei »Getränke-Weber« die letzten vier Weizengläser und packt sie zu Hause sorgfältig ein, gibt sie mir und reicht noch eine Flasche an, original »Kutenhauser Sekt«.
Ich schlage die Heckklappe zu und sage: »So, denn!« Und das heißt: Wir sind fertig und können los. 9 Uhr 30 . Und ab geht die Luzie. Ab jetzt drei Wochen Urlaub mit Eltern!
Anderthalb Stunden später bekomme ich einen Anruf. Isabel.
»Ich wär so gern dabei.«
»Ich muss mich aufs Fahren konzentrieren.«
»Ich vermisse dich, als wären es drei Wochen.«
»Wir sind erst anderthalb Stunden unterwegs.«
»Grüß deine Eltern. Und schreib mir.«
»Ich kann jetzt nicht reden. Tschüs, Isabel.«
Drei Minuten Schweigen. Dann fragt mein Vater: »Isabel?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Kaum unterwegs, musst du schon wieder telefonieren!«, sagt meine Mutter.
Verflucht seien Handys, Funkmasten und Netzanbieter. Wie schön, dass wir bald nach Finnland kommen. Denn Finnen sind bekannt als große Schweiger. Die Dialoge in finnischen Filmen haben in etwa den Textumfang eines Pixi-Buchs. Ich bin sicher, ich werde mich wohl fühlen, Finnland scheint ein Land ganz nach meinem Geschmack zu sein.
Irgendwie habe ich mich seit den frühen Achtzigern unbewusst auf diese Reise vorbereitet. Ich hatte in Kassel im »Filmladen« jeden neuen Kaurismäki-Film gesehen. Filme von Mika, besonders aber von Aki Kaurismäki. Wunderbare, lakonische Roadmovies, Sozialdramen und Komödien. Der Stummfilm »Juha«, »Das Mädchen aus der Streichholzfabrik«, »Der Mann ohne Vergangenheit« und natürlich »Leningrad Cowboys go America«. Ich war Fan von »Marko Haavisto & Poutahaukat«, der mit seiner Band in »Der Mann ohne Vergangenheit« mitspielt.
Einer der großartigsten Dialoge im »Mann ohne Vergangenheit« lautet: »Wenn Sie nicht zahlen, beißt der Hund Ihnen die Nase ab!« »Die verstellt mir ohnehin nur die Aussicht aufs Meer!« »Ja. Aber dann können Sie unter der Dusche nicht mehr rauchen.«
Ich bin Fan der Schauspieler Kati Outinen und Matti Pellonpää. Ich war dreimal in der grandiosen Berlin-Komödie »Helsinki – Napoli all night long« von Mika Kaurismäki, der Geschichte um den finnischen Taxifahrer Alex in Berlin, gespielt von Kari Väänänen, der mit einer temperamentvollen Italienerin Kinder hat, die von einem amerikanischen Gangsterboss, gespielt von Sam Fuller, entführt werden. Natürlich hilft Alex’ bester Freund, ein Russe, der einen Abschleppwagen fährt und in eine Berliner Prostituierte verliebt ist, helfen Katharina Thalbach in der Taxizentrale und Wim Wenders als Tankwart.
Ich habe das Gefühl, in mein »gelobtes Land« zu fahren. Finnland, Land der Verheißung, wo man schweigt, »schwer mütet« und trinkt. Wunderbar! Und dort lebt jetzt mein Bruder. Alles ist Bestimmung!
»Wollten wir nicht was essen?« Mein Vater reißt mich aus meinen Gedanken. Ich halte auf einem Rastplatz, wir steigen aus, und ich öffne die Heckklappe. Hermann greift den »Korff«. Meine Eltern sind wahre Verpackungskünstler. Hermann und Ilse sind der Christo und die Jeanne-Claude des Haushalts. In alten Margarine-Dosen liegen Schnitten – nicht Schnittchen! – sauber gestapelt. Es gibt hartgekochte Eier in leeren Heringssalat-Dosen und Frikadellen in Eis-Dosen (Familienpackung, 1000 Gramm). Dazu Senf. Von Thomy. Für die Reise aus der Tube. Sonst kaufen meine Eltern diesen Senf seit Jahrzehnten aus Gläsern, und wenn die, leer und gespült, als Wassergläser auf den Abendbrottisch gestellt werden, sagt meine Mutter in nie endendem Ritual: »Und hier ist das Thomas-Kristall!«
In leeren Lätta-Dosen
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