Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
sicher, dass eine etwaige Begegnung bleibenden Eindruck hinterlassen hätte: Es kann auf unserem Planeten nämlich höchstens eine Handvoll Frauen geben, die so groß sind wie der gute Bob und darüber hinaus eine verblüffende Ähnlichkeit mit meiner jungen Tante Vera aufweisen.
Weitere Zweifel an der Existenz einer ersten kalifornischen Begegnung werden durch die Tatsache genährt, dass ich an den Nachmittag auf der Wharf durchaus noch sehr konkrete Erinnerungen hege, da Bob damals seinen Hund mit auf den Ausflug nahm und mir, nachdem wir gewiss zum fünfzehnten Mal auf offener Straße von jungen Damen einfach so angesprochen worden waren, den Hinweis gab, so ein Bobtail sei die reinste »Wunderwaffe«.
In Finnland habe ich übrigens noch nie einen Bobtail gesehen. Genauso wenig wie einen deutschen Schäferhund. Der lokal bevorzugte, besonders ausdauernde Husky-Hybrid nennt sich Suomen pystykorva (finnisches Spitzohr) und gilt allgemein als wenig denkstark.
Meine finnische Frau besaß in ihrer Jugend ein besonders seltenes, da schneeweißes Exemplar, das auf den schönen Namen Lumikki (Schneewitchen) hörte. Eines kalten Wintertages schlich sich Lumikki durch
die Küchentür ins Freie und zog es nach einer kurzen Prüfung der Wetterlage vor, den Rest des nachtdunklen Nachmittages unter dem in der Garagenausfahrt geparkten Familienwagen zu verbringen. Schneewittchen schlief dort also selig ein, um geschätzte neunzig Minuten später von der zu Einkäufen eilenden Mutter des Hauses im Rückwärtsgang überfahren zu werden.
Eine tragische und sehr finnische Geschichte, die meine damals siebzehnjährige Frau in der Überzeugung bestärkte, es sei wohl an der Zeit, Elternhaus, Land und Nationalmannschaft für einige Jahre zu verlassen und also das großzügige Basketball-Stipendium einer kalifornischen Edeluniversität anzunehmen.
Ach, wie das eine doch zum anderen führt. »Fügung«, flüstert Vera und blickt versonnen auf den See. Meine Frau hat dieses Wort noch nie gehört und will von mir wissen, wie die englische Übersetzung lautet. Keine Ahnung.
Wirklich nicht.
KARTOFFELVÄTER
D ie Abzweigung zum Petäjäjärventie liegt hinter uns, von nun an heißt es gewundene Schotterwege zu nehmen, tief und immer tiefer in den Wald hinein. Jede Hütte bestens versteckt, jeder Pfad ein Familiengeheimnis. Wir schweigen, Aulis und ich - wie immer, wenn wir im Auto sitzen. Es ist eine wunderbare Sache, den eigenen Schwiegervater nicht verstehen zu können. Ich jedenfalls bin davon überzeugt, dass unser Verhältnis - das ich für ausgezeichnet halte - sehr von diesem Umstand profitiert hat.
Was ich von Aulis, den alle nur Ukki nennen, weiß, hat mir meine Frau erzählt. Er ist das sechste von elf Kindern, sein Vater hatte im Winterkrieg 1939/40 gekämpft, war schwer verwundet heimgekehrt und nach drei Jahren des Siechtums in der heimischen Hütte schließlich seinen Verletzungen erlegen. Wie mag es gewesen sein, mit einem kranken Mann und elf Kleinkindern in einer Hütte am See zu leben, ohne Strom und fließend Wasser, acht Monate des Jahres in bitterer Kälte?
Mit dreizehn Jahren verließ Aulis die Schule und ging arbeiten, und da seine älteren Geschwister zu diesem
Zeitpunkt bereits nach Kanada ausgewandert waren, lag es hauptsächlich an ihm, die Familie durchzubringen. Erst mit einundzwanzig hatte er genug gespart, um einen Kühlschrank kaufen zu können. Das gute Stück steht bis heute voll funktionsfähig in der Mökki-Küche. Aulis hat es wieder und wieder repariert.
Er kann, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, so gut wie alles reparieren: von Taschenlampen über Schrotflinten bis zu Raddampfern, von Handys über Treibnetze bis zu Brunnenpumpen. Aulis hat jedes der drei Häuser, in denen seine Familie lebte, eigenhändig entworfen und erbaut. Selbst das Auto, in dem wir fahren - ein dunkelblauer Fiat 500 -, ist eine nach seinen Plänen neu arrangierte Ansammlung von Ersatzteilen aus vier Jahrzehnten.
Nie habe ich ihn streiten, nie ihn sich beklagen hören. Wenn ihm, was durchaus vorkommt, etwas nicht passt, verlässt er einfach den Raum und zieht sich für Stunden oder auch Tage in sein pömpeli zurück.
Das mit dem pömpeli sollte ich erklären. Jeder finnische Mann hat eines. Es kann ein Schuppen, ein Kelleraum oder auch eine Abstellkammer sein, in jedem Fall gehört es zum Konzept des pömpeli und damit einer funktionierenden Ehe, dass geheim bleibt, was im pömpeli geschieht und gewerkelt wird.
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