Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
nickt konzentriert und beginnt in ihrem kurzen Sommerkleid unruhig auf dem Holzhocker hin und her zu rutschen. Die beiden Alten in der Ecke nicken mir freundlich zu. Ein, zwei Ohren sind drin, aber natürlich hängt alles vom letzten Stoß ab. Jesulín muss sich, um sein Schwert von oben herab möglichst tief zwischen die Schultern des Stieres hinab bis ins Herz stoßen zu können, weit über die gesenkten Hörner des Toros beugen und bietet ihm damit sein eigenes Herz als Angriffsfläche …
Ho! Der Stier knickt ein, kippt zur Seite, eine letzte Blutfontäne spritzt aus den Nüstern. Meiner Frau entfährt ein spitzer Schrei. Sie will jetzt gehen. Sofort.
Die Hitze ist wie eine Wand. Als wir das Holztor erreichen, triefen wir von Schweiß. Nur weg in den Hof, wo es kühl ist. Und beten, dass Miguel uns nicht bemerkt. Wochenlang ließ er uns gewähren, doch gestern nutzte er einen seiner wenigen klaren Momente und forderte entschieden eine Nachzahlung ein. Schließlich habe er die Wohnung nur an eine Person vermietet. Nichts zu sehen außer mannshohen Cannabispflanzen und Orangenbäumen.
So richtig angefangen habe es mit der droga erst, erzählen sie im Dorf, nachdem ihn seine Frau verlassen und die Kinder mit zurück nach Schweden genommen habe. Vermutlich schläft er wieder. Egal. Heute gehen wir nicht mehr raus. Und auch morgen früh nicht zur Sprachschule, allenfalls am Nachmittag wieder, für Antonio und seinen Fernseher.
Wir haben lange aufgehört, uns für diese verbrecherische Leidenschaft zu schämen oder die Absenzen vom Kurs oder spitze Schreie, die am späten Nachmittag durch die Gassen des weißen Dorfes hallen.
Durch das Fenster der Blick auf die Berge Nordafrikas. Sie flimmern wie eine Fata Morgana. La Paloma de Andalucía , so nennen die Einheimischen ihr Dorf. Die Taube Andalusiens, hoch oben auf dem Felsen liegt sie, versteckt wie ein Nest. In der Nacht wird sie wieder leuchten, magisch blau im Mondschein, so blau, das ist wahr, wie der Schnee einer finnischen Winternacht.
GLOBAL VILLAGE
Y o-kylä. Selbst das Schild scheint vor Kälte zu zittern. Studentendorf. Ich hatte mir ein kleines Zimmer in einem Betonbau vorgestellt, aber nun stehen wir vor einem neuen zweistöckigen Reihenhaus, fünf Zimmer, zwei Bäder samt Sauna. Meine finnische Frau bewohnt es gemeinsam mit zwei Freundinnen. Ein Zimmer haben sie für mich frei geräumt, ist ja genügend Platz.
Das war er wohl, der Moment, in dem ich zum bedingungslosen Befürworter des finnischen Wohlfahrtsstaates mutierte, mag sich die Taxirechnung auch auf die Hälfte meines geplanten Monatsbudgets belaufen haben. Zum Glück konnte mich meine Frau gerade noch davon abhalten, dem Fahrer 10% Trinkgeld zu geben. Das macht man in Finnland nicht, gilt gar als beleidigend!
Und dann gebe es da noch etwas, das sie mir erklären müsse, nun ja, eine kleine Komplikation … Ihr amerikanischer Exfreund, ich wisse schon, der, der mit ihr aus Kalifornien … jaja, der sei gestern überraschend und Wochen früher als geplant von seinem Indientrip zurückgekehrt, noch ohne Bleibe. Ich verstehe doch
sicher, streng genommen handele es sich bei Mike sogar um ihren Ehemann, aber nur pro forma, ich müsse das richtig einordnen, es habe damals so vieles einfacher gemacht in den USA, und auch für den gemeinsamen Umzug nach Finnland, so eine Greencard-Sache eben. Sie habe mir das früher sagen wollen, aber dann gedacht, es sei gar nicht so wichtig. Mike habe auch extra etwas für uns gekocht und sei wirklich nett, also gar kein Problem. Oder?
74 °C in sechs Monaten. Sieben Jahre ist das her. Ich setze die beiden Wassereimer ein letztes Mal ab und sehe den weißen Rauch aus der Sauna am See aufsteigen. Aulis und sein Sauna-Aufguss, löyly. Seltsam, dass ich an dieses erste Abendessen keine Erinnerungen mehr habe. Nur der eine Satz klingt mir noch immer im Ohr. It grows on you, hatte Mike seine finnische Zeit zusammengefasst. It grows on you.
Morgen soll er unser Trauzeuge sein.
SAUNASSA - IN DER SAUNA
WARM WERDEN
A chtung, das ist jetzt sehr wichtig: »An invitation to sauna is not an invitation to sex.«
Gespannte Stille im Auditorium, hier und da ein unsicheres Gackern, vor allem aus der ersten Reihe, wo die Amerikanerinnen sitzen. Mein Banknachbar Gabriele, ein Student der Wirtschaftswissenschaften aus dem schönen Florenz, kratzt sich skeptisch an den Koteletten. Er hatte da eigentlich andere Vorstellungen - was der Mimik der Einführungstutorinnen
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