223 - Gaston, Diana - Die mysteriöse Miss M
1. KAPITEL
London, 1812
M adeleine legte sich auf dem Sofa in Position, zog ihr Kleid aus weißem Musselin zurecht, strich ihre Handschuhe glatt und ließ die Hände elegant in den Schoß sinken. Der Kerzenleuchter war so aufgestellt, dass sein Schein ihre Haut in ein sanftes Licht tauchte und das Bild unterstrich, das sie abgeben sollte. Wenn sie an die Wünsche des letzten Mannes denken musste, schnürte sich ihre Kehle zu, und sie bekam eine Gänsehaut.
Wie sehr sie doch dieses verruchte Leben verabscheute.
Sie überprüfte den Sitz ihrer mit blauen Federn geschmückten Maske, die auf kunstvolle Weise so gearbeitet war, dass sie zwar Madeleines Identität tarnte, dabei aber weder ihre jugendliche Haut noch das unberührte Rosa ihrer vollen Lippen verdeckte. Hinter der „mysteriösen Miss M.“ konnte sich jedes Mädchen verbergen, das das erste Aufblühen seiner Weiblichkeit erlebte. Es war Farleys Absicht, dass sie diesen Eindruck erweckte, und die Männer, die seine Londoner Spielhölle aufsuchten, setzten hohe Summen ein, um für sich den Traum zu gewinnen, Madeleine verführen zu dürfen. Ein Entkommen stand für sie außer Frage, doch wenigstens verdeckte die Maske ihre wahre Identität ebenso wie die Schmach.
Da sie einfach nicht still sitzen konnte, ging Madeleine hinüber zum Bett, das diskret in der Ecke des Zimmers stand und mit Spitzenbettwäsche in Weiß und Lavendel wie ein Schrein zu Ehren der Jungfräulichkeit erschien. Auf der Bettkante nahm sie Platz und ließ die Beine baumeln, während sie sich fragte, wie viele Minuten ihr noch blieben, ehe der nächste Gentleman an der Reihe war. Sehr lange konnte es nicht mehr dauern, immerhin hatte sie sich mit der Toilette mehr Zeit als üblich gelassen, um die Erinnerung an diese verachtenswerte Kreatur fortzuwaschen, die nach Madeleines Ansicht noch viel eher wieder hätte aufbrechen können.
Aus dem Nebenzimmer war tiefes, raues Gelächter eines Mannes zu hören. Dümmliche Geschöpfe, die sich an Tischen niedergelassen hatten und in ihre Spielkarten vertieft waren, während sie dem Alkohol zusprachen und darauf warteten, dass Lord Farley ihnen ihr Vermögen abnahm. Die jungen Frauen an diesen Tischen, die heute Abend so wie Madeleine selbst wie die Debütantinnen im Almack’s Ballsaal gekleidet waren, sollten die Gäste zum Pokerspielen anspornen, doch für einige Auserwählte war die mysteriöse Miss M. der einzig wahre Gewinn für ihre Einsätze.
Farley würde nicht zulassen, dass ihm die Frau entglitt, die ihm so viel Geld einbrachte. Diese Lektion hatte Madeleine schon früh lernen müssen, doch es war auch gleich, da sie ohnehin nirgendwo hätte hingehen können.
Vor der Tür wurden Stimmen laut. Rasch verdrängte sie die Erinnerung daran, wie Farley sie zu diesem Schicksal verdammt hatte – oder besser gesagt: wie sie selbst sich dazu verdammt hatte.
Der nächste Mann, der zum Glück für diesen Abend der letzte sein würde, musste jeden Moment hereinkommen, und sie durfte nicht so wirken, als sei sie nicht für ihn bereit. Rasch überprüfte sie ihr Haar und strich über die dunklen Locken, die der neuesten Mode entsprechend ihr Gesicht einrahmten und durch die ein blassrosa Seidenband gezogen war.
Jemand stieß gegen die Tür, woraufhin Madeleine vom Bett aufsprang und schnell ihren Platz auf dem Sofa einnahm. Im nächsten Moment trat ein groß gewachsener Mann ein, der vor dem helleren Lichtschein des Spielsalons fast nur als Silhouette zu erkennen war. Einen Augenblick lang stand er da und hielt eine Hand an die Stirn.
Ein Soldat. Sein rotes Oberteil war eine Uniformjacke der britischen Armee, verziert mit blauen Aufschlägen und Goldlitzen. Er trug sie aufgeknöpft, sodass man das weiße Hemd darunter sehen konnte. Wäre ich doch auch ein Soldat, dachte Madeleine sehnsüchtig. Dann könnte ich mir den Weg nach draußen freikämpfen. Sie würde zur Kavallerie gehören, weil sie dann mit halsbrecherischem Tempo davongaloppieren konnte. Das wäre einfach zu schön.
Der Soldat, der keine fünf Jahre älter als sie zu sein schien, schwankte leicht, als er die Tür hinter sich schloss. Zweifellos hatte Lord Farley ihn großzügig mit Brandy versorgt.
Mit einem leisen Seufzer nahm Madeleine zur Kenntnis, dass er wohl berauscht, aber nicht fettleibig war. Wenn sie Glück hatte, würde sein Atem nicht so faulig stinken wie bei anderen Männern, was sie von allem Abstoßenden mit am
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