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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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YKSI, KAKSI, KOLME
    W ie schön sie war. Und so groß. Mit ihrem langen rötlichen Haar, das tief über zarte Schultern fiel - der Leib von einer edlen Blässe, die aufs Feinste mit dem vollen Rosa ihrer Brüste harmonierte. Sie stand vor mir, nicht einmal schüchtern, nur ein wenig überrascht, lächelte mich an, fuhr mir durchs Haar und bat mich sanft und liebevoll, ihr doch zu verraten, wo ich das Handtuch versteckt hätte.
    Es hat seinen guten Grund, diese Geschichte mit meiner Tante Vera zu beginnen. Sie ist die erste Frau, die ich nackt sah. Vor allem aber war es Tante Vera, mit der Finnland in mein Leben trat. Denn bereits kurze Zeit, nachdem sie als zugezogene Studentin der Sozialpädagogik zum ersten Mal in unserem Dachgeschoss geduscht hatte, verlor sie ihr Herz an einen in Scheidung lebenden Oberstudienrat, mit dem sie fortan jeden Sommerurlaub nach Finnland fahren sollte. Elmar, so hieß der Erwählte, trug einen weißen Rauschebart, war promovierter Chemiker und engagierte sich in der Umweltbewegung - war in den Augen meiner Mutter also ein »echter Spinner«.
    Diese erste und, wie ich vermuten muss, entscheidende Finnland-Prägung ist natürlich alles andere als Zufall. Was das Deutschland der späten Siebzigerjahre von Finnland wusste, wusste es von Elmar und den seinen. Freiwillig für vier Wochen Dauerregen in einem 12-m 2 -Mökki ohne Strom und fließend Wasser auszuharren und dafür auch noch das Vierfache eines luxuriösen Mittelmeerurlaubes zu zahlen, das konnten und wollten sich damals nur verbeamtete Überzeugungstäter leisten - Menschen, denen es ernst war mit der ökologisch-sozialistischen Alternative.
    So saßen Elmar und Vera also eines Abends im August wieder einmal unter unserer Reihenhausmarkise und schwärmten sichtbar ausgeruht von Elchen, Wieseln und Kreuzottern, von Heidelbeerfeldern und Saunagängen, von Pfifferlingen und Plumpsklos, vor allem aber von dieser sagenhaften Stille, die, ja, die meiner Tante Vera zufolge »einfach nicht zu beschreiben ist«.
    Schüchterne Einwände, all dies lasse sich - von Elchen und Saunagängen einmal abgesehen - doch auch im nahen Schwarzwald erleben, wurden mit Geschichten über das sagenhafte Rovaniemi gekontert, das die beiden nun endlich zur Mitternachtssonne besucht hatten. Es war seinerzeit von den deutschen Truppen schändlich dem Erdboden gleichgemacht worden, was meinen Vater - bereits betrunken genug, um ganz er selbst sein zu können - entgegnen ließ, ihm scheine es doch wesentlich plausibler anzunehmen, die Lappen hätten die paar Hütten im Suff versehentlich selbst abgefackelt.
    Ich erinnere mich an diesen Abend deswegen so genau,
weil nun ein ernster Streit ausbrach, in dessen hitzigem Verlauf Elmar den Schwur ablegte, nie wieder einen Fuß in unser Haus zu setzen.
    Das war natürlich Unsinn. Elmar hält sich nicht an Schwüre. Elmar kommt immer wieder. Er ist sogar zu unserem Fest gekommen, obwohl weder meine finnische Frau noch ich ihn namentlich eingeladen hatten. Aber was soll’s? Er gehört nun einmal zur Familie.
     
    Das mit dem Streit ist übrigens die absolute Ausnahme. Im Gegenteil, ob auf Partys, Familienfesten, Vernissagen, Fortbildungsseminaren oder im Zugabteil, das Thema Finnland, glauben Sie es mir, ist der perfekte Gesprächseinstieg, ist der Friedensstifter par excellence, spielt diskurstheoretisch in einer einsamen Liga mit den Beatles und dem Dalai Lama. Politisch neutral, ökologisch nachhaltig, technologisch führend, pädagogisch vorbildlich, sprachlich kurios, emanzipatorisch wegweisend … Eine öffentlich geäußerte Antipathie gegen das Volk der Finnen - in der europäischen Vorstellungswelt des frühen 21. Jahrhunderts ist das gleichbedeutend mit dem Hass auf die Menschheit als solche.
    Ein erster interessierter Smalltalk leitet Sie gewöhnlich von den tausend Seen über die finnougrische Sprachfamilie zu den verkannten Vorzügen des Rentiergulaschs. Das ermöglicht dem Connaisseur sogleich Detailabzweigungen zu den fünfzehn Fällen des Finnischen oder aber den einzigartigen Muttergesteinskonstellationen Mittelfinnlands.
    Flüssiger läuft es natürlich mit Erwägungen zu den
Wandervarianten des sogenannten »Bärenwegs« - unterlassen Sie es nicht, die Mücken zu erwähnen, und halten Sie in jedem Fall eine eindrückliche Angelgeschichte bereit, etwas in Richtung »Mein Kampf mit der Regenbogenforelle«.
    Eine erste, potenziell peinliche Pause kann wirkungsvoll mit dem Verweis auf die Schweigsamkeit

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