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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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hielt sich den Arm, aber Ulrike schien zum Glück den Aufprall ohne Verletzungen überstanden zu haben.
    »Kannst du dich bewegen?« fragte er Jorge und erhielt als Antwort ein undeutliches Murmeln.
    Schon drang das Licht der Autoscheinwerfer ihrer Verfolger in die Fahrerkabine. Lasse gab knurrend ein paar Befehle und sprang hinaus in den Regen. Sein Herz hämmerte. Er ging nach hinten zur Hecktür, holte drei Rucksäcke mit ihrer Ausrüstung heraus und ging wieder nach vorn, um Ulrike zu helfen, die Jorge stützte. Sie besaßen einen kleinen Vorsprung vor ihren Verfolgern, im Naturschutzgebiet von Meijendel war es stockdunkel, der heftige Regen übertönte alle Geräusche, und Lasse Nordman wußte, wie man nachts im Wald untertaucht.

2
    »Es bringt der Zornengel Ezrael Männer und Weiber und wirft sie an einen Ort der Finsternis, die Hölle der Männer. Sie stehen bis zur Mitte ihres Leibes in Flammen, und ein Geist des Zornes peitscht sie mit jeglicher Züchtigung …«
Der blonde junge Mann sprach voller Genuß die Worte aus der Offenbarung des Petrus vor sich hin, als er den Schauplatz der bevorstehenden RACHE verließ. Nun war alles bereit, er hatte sich jede Einzelheit des Ortes der Rache und der umliegenden Häuserblocks eingeprägt, genau wie die Verstecke und die Überwachungskameras auf dem Fluchtweg. Mit den Innenräumen und dem Grundriß des Gebäudes hatte er sich schon am Vortag vertraut gemacht. Die Kraft wirkte befreiend: Er war Ezrael, der Engel des Zorns, und bald würde er die BESTIE füttern.
    Ezrael ging in aller Ruhe durch das Zentrum Helsinkis, ohne darüber verwundert zu sein, warum in einer nordeuropäischen Hauptstadt am Morgen eines warmen und schönen Maifeiertags Dutzende Menschen in zügelloser Trunkenheit durch die Straßen schwankten. Der Geruch der Sünde stieg ihm in die Nase, er war dunkel wie Kloakenschlamm, drang überallhin und begrub alles unter sich. Das Gefühl war fast schwarz, aber doch nicht ganz. Das Schwarz beherrschte alles, selbst die Bestie, es war eine Kraft, die verband und alles Böse in sich aufsaugte.
    Auf der Mannerheimintie wurde ihm klar, daß er an seinem Hotel vorbeigelaufen war. Er blieb stehen und zuckte zusammen, als ein junges Mädchen, das aus dem Nichts auftauchte, nach dem Kragen seiner Jacke faßte. »Eh, Alter … haste mal ’ne Zigarette«, stammelte das Mädchen; Schnapsgeruch schlug Ezrael ins Gesicht.
    Er erwiderte auf englisch, er sei Tourist, und drückte ihr einen Fünf-Euro-Schein in die Hand, um sie wieder loszuwerden.Dann deutete er kurz sein strahlendes Lächeln an, drehte sich um, ging weiter und bemühte sich, Mitleid für das Kind zu empfinden.
»Und weil du gesehen hast die Klage, welche die Sünder treffen wird in den letzten Tagen, darum ist dein Herz betrübt.«
    Natürlich hätte er das Mädchen gern gewarnt, aber er durfte nicht. Wenn man sich unter Sündern befand, mußte man sich wie ein Sünder verhalten, die Regeln der Sünder befolgen und so aussehen wie einer von ihnen. Sonst wurde man gefaßt. Also mußte man alle irreführen, das war wegen seines AUFTRAGS notwendig. Und es war so einfach. Er kannte die Welt des Bösen durch und durch, obwohl er schon seit Jahren nicht mehr in ihr lebte. Deswegen fiel es ihm so leicht, seine Rolle unter den Sündern zu spielen. Aber er vergaß niemals auch nur für einen Augenblick, daß die Wahrheit woanders lag.
    In seinem Zimmer im Hotel Torni zog sich Ezrael nackt aus und stellte eine kleine Kopie des Freskos »Die Verkündigung an Maria« auf den Schreibtisch. Wie durch einen Zauber verwandelte das auf verwirrende Weise eindrucksvolle Werk Fra Angelicos das Hotelzimmer in jene Mönchszelle des Klosters San Marco in Florenz, an deren Wand der Renaissance-Künstler das Originalfresko vor fast sechshundert Jahren gemalt hatte. Der Engel auf der »Verkündigung an Maria« war so gekonnt und vollkommen dargestellt, daß es anderen Malern nie gelungen war, mehr als nur einen blassen Schimmer seiner auf das Wesentliche reduzierten Schönheit zu erreichen.
    Die Flamme der Kerze zögerte, ehe sie richtig aufleuchtete. Ihr Geruch beschwor eine Spur von Weiß herauf, der Farbe des Glaubens, die er einst sehen würde. Vom Glanz der Verklärung träumte er nur, den sahen allein die Erlösten. Der Geruch des Stearins drang in seine Nase, und der Duft einer jahrhundertealten Tradition beruhigte ihn.Der Geruchssinn war das, was in der Welt am meisten unterschätzt wurde. Es war Ezraels stärkste

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