Finnisches Quartett
daß er mir den Weg bereite.«
Die dritte folgte Jahre später, als der Bote selbst zu ihm kam und sagte: »Ich bin der Bote, und du bist Ezrael, der Engel des Zorns.« Da war er vollkommen überzeugt gewesen, daß er nun ein Auserwählter war.
Nur ein Verrückter würde sich einbilden, daß all das zufällig geschehen war. Und er war nicht verrückt, ganz im Gegenteil. Nachdem er die Gewißheit erlangt hatte, öffnete er sein Herz, und da drang das Licht mit der gleichen Kraft, die alles erschütterte, in ihn ein wie der Schwefel in Gomorra; eine solche Erfahrung konnte sich niemand einbilden. Sie änderte alles:
»Wenn dir nun diese Zeichen kommen, so tue, was dir unter die Hand kommt; denn Gott ist mit dir.«
Der Bote hatte ihm den Auftrag überbracht: Die Nachricht, worum es bei alldem ging und was er tun mußte. Ezrael spürte eine Welle der Wärme, als er an den Boten dachte. Der hatte die Aufgabe erhalten, ihn hinzuführen zur Veränderung – ihn zum Engel des Zorns zu machen. Es war der Bote gewesen, der ihm den Inhalt des dritten Geheimnisses von Fatima verraten hatte: die Verschwörungder katholischen Kirche, durch die den Gläubigen die Wahrheit über zwei heilige apokryphe Schriften – die Petrus-Offenbarung und das Thomas-Evangelium – vorenthalten wurde. Die VERRÄTER, die im Auftrag der katholischen Kirche handelten, verheimlichten den Gläubigen die Wahrheit, aber der Bote wußte, wer die Verräter waren. An ihnen allen mußte Rache genommen werden, und das würde der Engel des Zorns tun. Das war sein Auftrag, und dieser Auftrag hielt die Bestie in Schach.
Nichts würde ihn aufhalten, jedenfalls nicht das Gesetz der Sünder, er war nur an das Gesetz des Allerhöchsten gebunden. Alles war klar und logisch, für alles gab es eine Ursache und eine Erklärung.
»Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit macht euch frei.«
Ezrael klappte das Evangelium zu, daß es krachte, ihm wurde klar, daß sein Magen vor Hunger knurrte. Er ließ das Wasser im Bad laufen, bis es so kalt war, daß ihm die Finger schmerzten, dann füllte er einen Becher mit dem Wasser des Lebens. Die Einweckgläser fanden sich in seinem Gepäck; er aß das, was auch der Mönch Coemgen lange vor ihm gegessen hatte – Honig und Gras. Er war wie Johannes – die Stimme eines Predigers in der Wüste. Auch er würde dem Herrn den Weg bereiten. Die heiligen Worte strömten ihm zu wie das Wasser aus einer Quelle.
»Wer hat euch denn gewiesen, daß ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?«
Voller Stolz dachte Ezrael daran, welche Ehre ihm zuteil wurde. Man hatte ihn als Dreißigjährigen auserwählt wie den Meister, und sicher würde auch er mit dreiunddreißig Jahren sterben. Deswegen mußte der Auftrag schnell ausgeführt werden, noch vor dem 24. Juni, dem Tag Johannis, an dem er vierunddreißig Jahre alt werden würde. Er war an Johannis geboren und der Meister zu Weihnachten, ihre Geburtstage teilten das Jahr in zwei Hälften. Die Bestie und das Lamm.
Heute würde der Engel des Zorns seine Flügel zum viertenmal ausbreiten. Er hatte schon die brennende Haut des italienischen Physikers gerochen, die Panik des ertrinkenden Franzosen durch die dunkle, schmutzige Wasseroberfläche gesehen und beobachtet, wie der Deutsche zwischen zwei Autos zerschmettert wurde. Welche Erinnerung würde die nächste Rache beim Engel des Zorns hinterlassen?
3
Arto Ratamos Sicherung brannte endgültig durch, als in der Wohnung über ihm morgens um halb zehn eine Motorsäge in Gang gesetzt wurde. Das Aufheulen schallte durch die Räume des Mehrfamilienhauses wie der Ruf des Polartauchers über den See. Die Maifeier in der WG der Chemiestudenten nahm nun solch erschreckende Formen an, daß man irgend etwas unternehmen mußte. In der letzten Nacht hatte sich Ratamo zähneknirschend die Hälfte der Titel des Popsängers Frederik und irgendein entfernt an ein Didjeridoo erinnerndes Geheul anhören müssen, wobei er schließlich zu der Vermutung gelangt war, daß es nicht aus der Stereoanlage kam, sondern aus den Lungen eines Chemiestudenten. Jetzt hätte er am liebsten im Gegenzug die Regler voll aufgezogen und den Titel »Der König zieht um nach Puumala« von den Rehtorit erdröhnen lassen, aber er wollte nicht der ganzen Nachbarschaft den Krieg erklären. Der Deckel der Kautabakdose schnappte auf, erbost schob sich Ratamo einen Priem unter die Oberlippe.
Würde er sich wirklich nicht scheuen, die Studententruppe anzuschwärzen? War er
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