Finnisches Roulette
sie Gardinen kaufen. Eine Möwe kreischte auf dem Hof, als Laura die offene Tasche vom Fensterbrett nahm und dem Spanner ihren nackten Hintern zukehrte. Sie zeigte ihm über die Schulter den Mittelfinger, beugte sich aber doch nicht vor, obwohl die Versuchung groß war.
»Glaub mir, Sami. Der Mann ist ein Krimineller. Wer sonst trägt fünfzigtausend Euro in seiner Tasche mit sich herum? Ein Diplomat ist das nicht. Heutzutage kann sich jeder vornehme Visitenkarten drucken lassen, beispielsweise im Automaten auf dem Bahnhof. Wir müssen die Polizei anrufen.«
Sami Rossi antwortete nicht, er griff nach Lauras Knöchel und versuchte mit einem wilden Lachen seine Frau zu sich auf die Matratze zu ziehen, bekam aber als Lohn einen kräftigen Tritt gegen den Unterarm und fluchte laut.
Laura blätterte noch einmal die deutschsprachigen Unterlagen durch, die sich in der Tasche befanden. Es waren politische Berichte über die Europäische Union und die finnische Regierung. Mit ihrem Schuldeutsch konnte sie darin nichts Umwerfendes entdecken. Waren es geheime Unterlagen? Oder schmutziges Geld? Mehr war nicht in der Tasche, nur die Papiere und die ordentlich gebündeltenEuros. Laura hatte Angst, Sami könnte in irgend etwas Ungesetzliches hineingezogen werden, ihr Mann war viel zu gutgläubig.
»Und wenn der Kerl gestorben ist? Das Geld in der Tasche reicht für die ganze Renovierung, und wir könnten auch einen Teil des Wohnungskredits abzahlen.« Rossi versuchte seine Frau zu überzeugen. »Wir behalten den ganzen Jackpot. Was man als junger Mensch klaut, das gehört einem im Alter.«
»Dieses Geld gehört uns nicht«, Lauras Stimme wurde lauter. »Wir müssen es zurückgeben.«
»Die Hälfte gehört uns. Der Mann hat es mir versprochen, wenn ich seine Tasche aufbewahre.«
»Jaja, dann rufen wir wenigstens im Krankenhaus an und fragen, ob es dem Mann gutgeht«, erwiderte Laura verärgert.
»Das sagen sie ja wohl nur den nächsten Verwandten. Außerdem hat der Typ mich gebeten, die auf das karierte Papier gekritzelte Nummer anzurufen, wenn er nichts von sich hören läßt.« Rossi hatte die Streiterei satt, er konnte sich nie gegen Laura durchsetzen. Manchmal ärgerte ihn das, obgleich er Lauras Intelligenz andererseits schätzte. Er war auch nicht dumm, eine Begabung konnte sich eben in vielen verschiedenen Formen zeigen. Muhammed Ali hatte in der Schule auch nicht mit guten Noten geglänzt und sich seinerzeit trotzdem intelligentere Kampftaktiken ausgedacht als irgendein anderer in der Geschichte des Boxens. Sami Rossi marschierte ins Bad, stopfte seine Joggingsachen, die auf der Badewanne hingen, in die Waschmaschine und schlug vor dem Spiegel ein paar Geraden und Haken. Er hatte sein Pulver trocken gehalten.
Laura mußte lachen. Sami verhielt sich beim Streiten wie ein kleines Kind. Wahrscheinlich war es das, worin sich Frauen verliebten: die Unbeholfenheit der Männer. Sami hatte etwas kindlich Naives. Er feuerte voller Begeisterungdie finnische Eishockeymannschaft an, kannte die Hälfte der Dialoge im »Unbekannten Soldaten« auswendig und dachte, wenn jemand in TV-Quizsendungen gewann, müsse er außergewöhnlich intelligent sein. Vielleicht war Sami auch einfach nur ein typischer Mann – ein großes Kind. Der Gedanke amüsierte Laura. Ob groß oder klein, sie vergötterte Kinder. Deswegen war sie auch Unterstufenlehrerin geworden.
Laura zog Shorts und ein Baumwolltop an, schwenkte die Rastalocken aus dem Gesicht und ging zur Tür ihres künftigen Arbeitszimmers. Es juckte ihr schon in den Fingern, die Arbeiten der zweiten Klasse zu korrigieren. Ihr Blick fiel auf einen Roman, der auf einem Umzugskarton lag, und sie nahm sich vor, die Bücherkisten als erste auszupacken. In dieses Zimmer würde sie sich zurückziehen, wenn sie die Einsamkeit brauchte. Sie liebte ihre Bücher.
Der Herzanfall und die Tasche des deutschen Diplomaten jedoch beunruhigten Laura. Sie wußte, daß bei Überraschungen die Probleme in der Regel nicht lange auf sich warten ließen. Hätte sie nicht vor Samis Urlaubsende die Renovierung abschließen wollen, dann wäre der ganze Zwischenfall im »Forum« an ihnen vorübergegangen, und sie würden jetzt ihre Zehen in den Päijänne-See tauchen und ihre Lebern in Rotwein. Aber wer konnte so etwas vorher wissen? Die Schulden für die Wohnung bereiteten ihr keine Sorgen, damit würden sie problemlos klarkommen, wenn beide arbeiten gingen. Es war ihr zuwider, immer wieder über finanzielle
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