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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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viel gescheiter als ich, Chief Inspector Johnson.»
    Aber wieder gab Morse keine Antwort, und sie gingen zusammen hinunter zu dem niedrigen Steincottage, wo bis vor kurzem Michaels und seine schwedische Frau so glücklich zusammengelebt hatten.
    Als sie im Begriff waren einzutreten, hörten sie ziemlich weit weg einen Schuß. Aber sie achteten nicht besonders darauf. Wie Michaels ihnen gesagt hatte, regte sich niemand übermäßig auf, wenn er in Wytham einen Gewehrschuß hörte: vielleicht Wildhüter, die auf Eichhörnchen oder Kaninchen schossen, oder Landarbeiter, die auf die verhaßten Tauben ballerten.
    Im Cottage, direkt neben dem Eingang, stand der Sicherheitsschrank aus Stahl, aus dem Michaels’ Gewehr zur gerichtlichen Untersuchung herausgenommen worden war. Aber es bestand keine Veranlassung mehr, den Schrank verschlossen zu halten, und er stand jetzt offen — und leer — da. Lewis beugte sich hinunter und musterte sorgfältig die Furche, in der das Gewehr gestanden hatte, nahm die Kratzer zur Kenntnis, wo der Kolben geruht hatte, und daneben eine zweite Furche — mit den gleichen verräterischen Zeichen.
    «Ich bin überzeugt, Sie haben recht», sagte Lewis.
    «Wenn Sie sich erinnern», sagte Morse, «er hat es uns selbst mitgeteilt, Michaels nämlich. Als Sie feststellten, daß Sie in der Hütte kein Gewehr gesehen hätten, sagte er: — das waren genau seine Worte, glaube ich.»
    «Sie sind noch immer sicher, daß er es war, Sir?»
    «Ja.»
    «Was ist mit dem , mit dem Sie es heute morgen hatten?»
    «Was soll damit sein?» fragte Morse. Aufreizend.
    «Vergessen Sie es.»
    «Wie spät ist es?»
    «Gleich zwölf. Wir könnten zu Fuß hinuntergehen, wenn Sie wollen, Sir. Ein hübscher kleiner Zehn-Minuten-Spaziergang. Würde uns guttun. Wir könnten uns einen Durst anlaufen.»
    «Unsinn.»
    «Laufen Sie nicht gern ein Stück — gelegentlich?»
    «Gelegentlich, ja.»
    «Also?»
    «Also fahren Sie mich hinunter zum White Hart, Lewis! Wo liegt das Problem?»

Kapitel siebenundsechzig

    Scire volunt secreta domus,
    atque inde timeri
    (Sie beobachten das Haus bei Tag und
    bei Nacht und füttern damit ihren Hunger nach Macht)

    (Juvenal, Satire III)

    «Was hat Sie diesmal darauf gebracht?» fragte Lewis, als sie in der kleinen Bar im oberen Geschoß einander gegenübersaßen, Morse mit einem Glas echtem Ale, Lewis mit einer Orangeade mit viel Eis.
    «Ich glaube, es war nicht so sehr, daß man Daley an dieser Stelle gefunden hat — draußen in Blenheim. Es waren die Fotos, die sie dort von ihm machten. Ich glaube nicht, daß ich es gleich gemerkt habe, aber als ich mir die Fotos ansah, hatte ich irgendwie den Eindruck, daß er einfach dort hingeworfen — daß er überhaupt nicht an dieser Stelle erschossen worden war.»
    «Sie meinen, Sie hatten einfach eine... eine Art Gefühl ?»
    «Nein. Das meine ich nicht. Sie denken vielleicht, daß ich so funktioniere, Lewis, aber das tue ich nicht. Ich glaube nicht an irgendwelche unerklärlichen Intuitionen, die sich gelegentlich zufällig als richtig erweisen. Es muß irgend etwas dasein, so vage es auch sein mag. Und hier hatten wir den Hut, nicht wahr? Den Hut, den Daley immer trug, wo er auch war, wie das Wetter auch sein mochte. Immer derselbe verdammte Hut! Er nahm ihn nie ab , Lewis!»
    «Im Bett nahm er ihn wahrscheinlich ab?»
    «Wir wissen nicht einmal das, oder?» Morse leerte sein Glas. «Noch reichlich Zeit für ein zweites Bier.»
    Lewis nickte. «Reichlich! Aber Sie sind dran, Sir. Ich nehme noch eine Orangeade. Herrlich! Mit viel Eis, bitte!»
    «Verstehen Sie», nahm Morse einige Minuten später den Faden wieder auf, «er trug seinen Hut mit allergrößter Wahrscheinlichkeit, als er erschossen wurde, und ich bezweifle sehr, daß der Hut runtergefallen ist. Ich habe die tiefe Druckstelle auf seiner verschwitzten Stirn gesehen, als wir mit ihm sprachen. Und selbst wenn der Hut runtergefallen wäre — als Daley tot umfiel —, ich hatte einfach das Gefühl...»
    Lewis zog die Augenbrauen hoch.
    «...daß er nicht weit gefallen wäre.»
    «Also?»
    «Also nehme ich an, daß der Hut absichtlich dort hingelegt wurde, neben seinen Kopf — nachdem Daley erschossen worden war. Wissen Sie noch, wo der Hut lag? Drei oder vier Fuß von seinem Kopf entfernt. Die Schlußfolgerung ist also überzeugend und befriedigend, wie ich es sehe. Er trug seinen Hut, als er erschossen wurde, und

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