Finsterherz
der Anna-Maria und Lutsmann gewartet hatten. Jetzt war sie leer.
»Hinauf«, sagte König.
Sie schlüpften lautlos durch die Tür und gingen die Treppe hinauf. Als sie oben ankamen, trat ein Mann mit einem dicken Aktenbündel in den Händen rückwärts aus einem Zimmer vor ihnen. Er sah sie nicht. Er war für einen Moment ganz auf die Akten konzentriert, die ihm aus den Händen zu gleiten drohten. Dann drehte er den Kopf.
»Wer seid Ihr?«, fragte er.
»Herr Doktor Häller hat mich hergebeten«, erwiderte König, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Davon weiß ich nichts«, sagte der Mann. »Was will er von Euch?«
»Das geht nur Herrn Doktor Häller etwas an«, antwortete König.
Der Mann straffte die Schultern. »Ich bin Doktor Hällers Sekretär«, verkündete er.
»Dann bringt mich bitte zu seinem Zimmer, Herr Sekretär«, sagte König.
Das Gesicht des Mannes verdüsterte sich. »Ihr müsst unten auf ihn warten.«
»Nein«, entgegnete König und zog die Pistole aus seinem Mantel. »Wir warten hier in seinen Räumen auf ihn.«
Der Mann sah das Blut an Königs Hand. Er sah sie zittern, während sie die Pistole hielt. Doch für den Fall, dass er daran gedacht hatte, um Hilfe zu rufen, war König vorbereitet.
»Selbst ich könnte Euch von hier aus nicht verfehlen, Herr Sekretär.«
Der Mann öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Die Akten noch immer in der Hand, drehte er sich um und ging, dicht gefolgt von König, zu der Tür zurück, aus der er gerade gekommen war. Davor blieb er stehen.
»Aufmachen«, befahl König.
Sie waren kaum über die Schwelle, als König ihm mit dem Pistolenkolben eins überzog. Es gab ein Geräusch, als würden Knochen brechen, und der Mann fiel um wie ein Sack.
»Bringt ihn außer Sichtweite«, sagte König.
Stefan schleifte den Mann hinter einen Sessel, doch Mathias stand stumm in der Tür, erschrocken über die plötzlich ausgebrochene Gewalt. König zog ihn ins Zimmer und schloss die Tür.
»Jetzt warten wir auf Häller«, sagte er.
Er ging hinüber zu Hällers Schreibtisch, der mit Briefen und Akten übersät war. Er schaute sie kurz an, dann kam er zurück zur Tür, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und schloss die Augen.
Mathias lauschte in die Stille des Raumes hinein. Sie war fast unerträglich. Die Uhr über dem Kamin tickte. Sie schlug Viertel, dann halb. Die kleinen Glocken tönten noch, als unten im Haus irgendwo eine schwere Tür zugeworfen wurde. König öffnete die Augen. Sie hörten Schritte ohne Eile die Marmortreppe heraufkommen. Und Hällers Stimme, scharf und übellaunig: »Schick ihn rauf, wenn du ihn findest.«
Mathias nahm an, dass Häller von seinem Sekretär sprach. Er sah gerade noch die Schuhspitzen des Mannes hinter dem Sessel hervorluge n – Häller würde sie ebenfalls sehe n –, doch bevor er etwas sagen konnte, bewegte sich die Klinke und die Tür ging auf.
Häller machte sich nicht die Mühe, sie hinter sich zu schließen. Er trug seinen dunklen Frack. Er ging hinüber zum Schreibtisch, legte den Gehstock mit dem silbernen Knauf darauf ab, nahm einen Brief, dann den nächsten und begann zu lesen. Dann fiel sein Blick auf etwas Ungewöhnliches auf dem Schreibtisch. Er legte das Papier weg, streckte langsam die Hand aus und berührte, was er gesehen hatte, mit der Fingerkuppe. Er rieb es zwischen Zeigefinger und Daumen und hielt die Hand ans Licht.
Es war Blut.
Häller richtete sich langsam auf, während König hinter ihm die Tür schloss.
Die Herzogin
Häller drehte sich nicht sofort um. Als sei er neugierig, was passieren würde, streckte er die Hand nach der kleinen silbernen Glocke auf dem Schreibtisch aus.
»Du wärst tot, bevor jemand da wäre«, sagte König leise.
Häller drehte sich immer noch nicht um, aber er zögerte, die Hand über der Glocke. »Aber sie würden trotzdem kommen«, sagte er.
»Und du wärst trotzdem tot.«
Häller rührte sich nicht. »Dann haben wir eine Pattsituation«, meinte er.
Er nahm die Hand von der Glocke und erst jetzt wandte er sich um. König stand mit dem Rücken zur Wand neben der Tür. Sein Gesicht war eingefallen und man sah ihm die Schmerzen an. Er hielt die Pistole vor der Brust. Die Hand mit der Pistole war voller Blut. Mathias stand neben ihm.
»Aber ich habe ja einen toten Mann vor mir«, stellte Häller ruhig fest, so als zeigte man ihm eine Kuriosität, über die er sich wunderte. »Gewöhnlich ist Walter sehr viel gründlicher. Ich werde ein Wörtchen mit ihm reden
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