Finsterherz
um. Sie befand sich in einem großen, hohen Raum mit vergoldeter Decke. Entlang der Wände hingen in Reihen Käfige. In einigen waren kleine Vögel, in anderen Eichhörnchen oder Katzen. In einem saß ein kleiner Affe und betrachtete sie. Reihenweise glänzende Knopfaugen, die sie beobachteten. Es standen auch Tische in dem Raum, aber sie konnte nicht sehen, was darauflag.
Aus einem anderen Zimmer drangen Stimmen, die sich näherten. Was sie für ein großes, in die Wand eingelassenes Bücherregal gehalten hatte, schwang plötzlich auf und ein Mann trat durch die Geheimtür. Sie kannte ihn nicht, doch hinter ihm kam Doktor Häller.
»Sie sollte jetzt wach sein«, sagte Häller, aber in seiner Stimme war ein Zögern, als fürchtete er, es könnte unangenehme Konsequenzen haben, wenn er sich irrte.
Der andere Mann trug einen langen, dicken Mantel mit üppigem Pelzbesatz. Er war älter als Häller und hielt Kattas lederne Haube in der Hand. Instinktiv versuchte sie die Hände zum Kopf zu heben und danach zu tasten.
»Wird es Auswirkungen haben?«, fragte er Häller.
»Nein«, antwortete dieser. »Ich habe sie untersucht, während sie schlief. Sie ist gesund und stark. Sie hatte vielleicht einmal einen Unfall, mehr nicht.«
Und wieder glaubte Katta, aus seinen Worten eine merkwürdige Unsicherheit herauszuhören. Es dauerte einen Augenblick, bis sie verstand, woher diese Unsicherheit kam: Häller hatte Angst.
»Gut«, sagte der Mann.
Er blickte mit blassgrünen Augen auf sie herab, und da spürte Katta plötzlich auch, wie die kalten Finger der Angst nach ihr griffen. Es bedurfte keiner Worte; den fremden Mann umgab eine Aura der Furcht.
»Ich hoffe, du bist zufrieden mit ihr, Spielzeugmacher«, sagte Häller.
»Sie hat auch die richtige Größe«, stellte dieser fest.
Katta merkte, wie ihr Mund sich bewegte, noch bevor sie wusste, was sie sagen würde. Sie spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden.
»Meine Freunde wissen, dass ich hier bin«, sprudelte es aus ihr hervor.
Möglich, dass der Puppenmacher sie nicht gehört hatte. Er beugte sich über sie und begann, ihr Haar mit den Fingerspitzen zu teilen. Er suchte nach der Stelle an ihrem Kopf, wo der Knochen beschädigt war. Sie versuchte den Kopf wegzudrehen, doch er fuhr ihr mit der anderen Hand ins Haar und zog so fest daran, dass sie sich nicht mehr rühren konnte. Dann fuhr er mit dem Fingernagel rund um den Knochen herum und in dieser Berührung lag etwas höchst Bedrohliches. Katta wimmerte.
»Hast du in die Särge geschaut?«, fragte er.
»Nein!«, keuchte sie.
Er schob einen Fingernagel unter den Rand des Knochens. Es fühlte sich an wie glühender Draht. Ihr Atem kam in kurzen, panischen Stößen.
»Hast du?«
»Ja!«
»Was hast du gesehen?«
»Den Herzog!« Sie konnte die Worte nicht schnell genug herausbringen.
»Wer hat ihn noch gesehen? Deine Freunde?«
»Ja!«
»Weiß es sonst noch jemand?«
»Nein!«
Er blickte zu Häller hinüber. »Sie ist als Einzige übrig?«
Häller nickte.
Er ließ ihr Haar los. Sie versuchte von ihm wegzukriechen, doch ihre Hände waren gefesselt.
»Ich weiß nichts«, wimmerte sie. »Bitte!«
Flehend schaute sie zu Häller auf, als ob ausgerechnet er ihr helfen würde. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Bring sie hinüber«, sagte der Spielzeugmacher.
Häller bückte sich und zog Katta auf die Füße. Sie stand auf, stumm und voller Angst. Er legt ihr einen Arm um die Schultern wie ein netter alter Onkel, und Seite an Seite folgten sie dem anderen Mann.
Sie gingen zwischen den Tischen hindurch. Darauf lagen Gegenstände, mit denen sie absolut nichts anfangen konnt e – Werkzeuge, Drehbänke, winzige Schwungräder und Zahnrädchen. Auf einer sauberen weißen Porzellanplatte lag ein kleiner Krallenaffe; seine blicklosen, milchigen Augen waren ihr zugewandt. Man hatte ihm die Brust geöffnet, das Fell zurückgeschlagen und mit langen, silbernen Nadeln festgesteckt. Sie schaute rasch wieder weg.
»Wir tun dir nichts«, sagte Häller, aber sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken, die sie sanft vorwärtsschob.
Sie gingen noch einmal durch eine Tür in einen Raum, der rund war wie eine saubere weiße Trommel. Tageslicht strömte durch eine gewölbte Decke aus durchsichtigem Glas. Katta sah Wolken und dahinter den blauen Winterhimmel.
Vor ihr standen zwei große Tische. Einer war sauber geschrubbt; darauf lagen Werkzeuge und scharfe Instrumente bereit. Auf dem anderen lag reglos eine junge Frau in
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