Finsterherz
schaute ihn an und runzelte die Stirn, als sie versuchte seinen Worten zu folgen. Dann nickte sie langsam.
»Aber das sind nicht unsere Freunde, nicht wahr?«
Ebenfalls langsam schüttelte sie den Kopf, geradeso als hätte sie es zuvor nicht gewusst.
»Sollen wir sie umbringen?«, fragte Häller. »Das wäre doch ein gutes Spiel.«
Sie drehte den Kopf und blickte Mathias und König an.
Häller drehte den silbernen Knauf von seinem Gehstock ab und zog den langen, scharfen Dolch heraus. »Würdet Ihr sie gerne umbringen?«, fragte er in einem singsangartigen Ton, als würde er zu einem kleinen Kind sprechen.
Sie schaute ihn an. Es dauerte einen Augenblick, bis sie seine Worte erfasst hatte, dann nickte sie.
Er hielt ihr den Dolch hin und sie nahm ihn.
»Nein«, sagte Mathias.
Er versuchte verzweifelt, König zum Aufstehen zu bewegen, doch dieser konnte nicht mehr. Er hob lediglich die Augen und sah die Frau durch ein Meer aus Schmerzen langsam auf sich und Mathias zukommen. Er konnte nichts mehr tun.
Mathias blickte sie flehend an. »Bitte!«, sagte er.
Sie sah mit unbewegter Miene auf ihn herunter, doch dann hielt sie inne, als sei ihr plötzlich etwas aufgefallen, was sie verwirrte. Sie runzelte erneut die Stirn. Langsam drehte sie sich zu Häller um. Er hatte sich nicht gerührt. Er beobachtete sie.
»Bringt sie um, Herzogin«, sagte er.
Doch die Herzogin zögerte. Sie blickte auf den Mann hinunter und auf den Jungen. Ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie etwas sagen.
»Bringt sie um«, wiederholte Häller.
Sie hob den Dolch und Mathias wich zurück, die Augen fest zusammengekniffen. So sah er nicht, wie sie sich rasch umdrehte und die Klinge direkt in Hällers Herz stieß. Häller stand da, die Augen erstaunt aufgerissen, und sein Mund formte ein stummes, gleichmäßiges O. Während er auf den Dolch in seiner Brust blickte, bildete sich auf seiner weißen Hemdbrust ein Fleck, der die Form einer Rosenblüte hatte.
Ohne den Blick von ihm abzuwenden, stieß sie die Klinge bis zu dem silbernen Heft hinein. Erst dann ließ sie los und sah zu, wie er langsam zu ihren Füßen niedersank.
Selbst kleine Puppen mit Sperlingsherzen erinnern sich zuweilen, dass sie einmal Sperlinge waren.
Als Mathias die Augen öffnete, stand sie ganz still da und ihre Finger berührten leicht ihre Wange, so als streichle sie mit einer Feder darüber, die aus einer Karnevalsmaske gefallen war.
Mit einer Stimme, die er nie mehr zu hören geglaubt hatte, nannte sie stockend ihren Namen.
Letzte Schritte
Mathias hörte noch immer die Angstschreie, roch den beißenden Rauch, der in der Luft lag. Doch plötzlich schien alles weit weg. Verwirrt stand er auf.
Häller lag tot zu Füßen der Fra u – seine Augen waren weit offen, der Dolch mit dem silbernen Knauf steckte mitten in seinem Herzen. Sie stand über ihn gebeugt, sah ihn jedoch nicht an.
Sie hielt die Hände vors Gesicht und starrte darauf, als hätte sie sie nie zuvor gesehen. Während er sie beobachtete, fasste sie sich zögernd an den Kopf, tastete ihn nach etwas ab, was sie dort erwartete, aber nicht dort fand.
Und dann schrie sie.
Sie schrie, als seien sämtliche Höllenteufel hinter ihr her.
Er wollte zurückweichen, doch sie war schneller als er. Sie packte ihn, ihr Blick war starr und irr, ihr Griff eisenhart.
»Wi e … sie!«, schrie sie.
Und für Mathias blieb die Welt stehen. Es war Kattas Stimme, die aus dem fremden Mund ka m – gebrochen und wirr, aber unverkennbar Kattas Stimme, als sei sie im Körper dieser Frau eingeschlossen.
Sie sah das völlige Unverständnis auf seinem Gesicht. »Ja! Wi e … sie!«, wiederholte sie und nickte in einer Art, wie es nur Verrückte tun.
Er spürte, wie sie ihre Finger mit den seinen verschränkte; sie waren hart und kalt. Sie drückte seine Hand an ihre Wange. Auch sie war hart und kalt wie die einer Puppe. Während sie ihm in die Augen starrte, legte sie seine Hand auf ihren Busen. Er war hart und kalt, aber Mathias spürte ein lebendiges Herz darin schlagen.
»Mein … Herz!«, keuchte sie. »Iii…ch!«
Die Worte ergaben keinen Sinn. Mathias erging es so wie Katta in der Krypta, als sie die Toten gesehen hatte. Die Toten, von denen sie wusste, dass sie lebte n – und plötzlich stellte sein Kopf eine Verbindung zwischen den beiden Erlebnissen her und er wusste, was sie ihm sagen wollte.
Sie war wie diese Toten.
Und da wurde ihm auch klar, warum Häller gelacht hatte.
Das war Gustavs Geheimnis
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