Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
Ist er etwa die ganze Nacht weggeblieben?
Ich runzle die Stirn und gehe in Richtung des Weges, den er gestern Abend eingeschlagen hat. Der dichte Wald verschluckt mich sofort, doch das jagt mir keine Angst ein. Ich fürchte mich nicht vor der Natur oder davor, mit ihr allein zu sein. Meine Schritte treffen sanft auf dem mit Moos bewachsenen und mit Tannennadeln übersäten Waldboden auf. Dünne Zweige zerbrechen rhythmisch unter meinen Schuhen.
Ich gehe weiter, ohne darüber nachzudenken, wohin, doch irgendwie wird mir der Weg zwischen den Bäumen hindurch von meinem Unterbewusstsein vorgezeichnet. Ich kann Cassian spüren und gehe immer weiter auf ihn zu. Irgendwo in der Ferne grollt ein Donnerschlag.
Das Knacken ist kaum hörbar. Der Geräuschteppich um mich herum ist so dicht, dass ich seinen einzelnen Bestandteilen nicht viel Beachtung schenke. Geräusche gehören einfach zu einem Wald.
Doch da ist es wieder.
Ohne stehen zu bleiben, lege ich den Kopf schief und lausche. Einige Zweige zerbrechen unter einem schweren Gewicht. Das ist kein kleines Tier. Kein Eichhörnchen, das durch das Unterholz rennt. Es ist auch nicht Cassian.
Ich spüre ein Kribbeln im Nacken. Ich bleibe stehen, halte den Atem an und suche die unheimlichen Umrisse der umstehenden Bäume mit den Augen ab. Ich atme wieder aus, gehe langsam tief in die Hocke und mache mich so klein wie möglich.
Meine Finger streichen über den Boden und ich mache mich bereit dafür, mich abzudrücken und loszurennen, falls nötig. Ich spüre das vertraute Ziehen in meinen Knochen, die Spannung in meiner menschlichen Haut, die sich zurückzieht, um meiner Drakihaut Platz zu machen.
Das Geräusch wird lauter und etwas kommt schwer stampfend durch das Blätterdickicht näher.
Ich verharre ganz still, mache mich noch kleiner und verschmelze mit der Landschaft um mich herum. Und warte.
Schließlich erkenne ich, woher der Lärm kommt.
Ein wunderschöner Schwarzbär trottet zwischen zwei Bäumen hindurch und schnüffelt mit seiner glänzenden Nase am Boden. Das Tier hebt den schimmernden dunklen Kopf, stellt munter die Ohren auf und bläht die Nasenflügel, als er meinen Geruch wahrnimmt. Dann sieht er mich.
Mit einem Schnauben macht der wuchtige Bär mehrere aggressive Schritte in meine Richtung. Kampfbereit springe ich auf und sehe ihm direkt in die Augen. Ich lasse ihn das Animalische in mir spüren, lasse ihn wissen, dass ich ein ebenso wildes Tier bin, bereit, mich zur Wehr zu setzen. Angriffslustig senkt er den Kopf. Einen atemlosen Augenblick lang treffen sich unsere Blicke. Pures Adrenalin schießt pulsierend durch meine Adern.
Plötzlich ist da noch ein anderes Geräusch. Cassian kommt im Laufschritt zwischen den Bäumen hervor, ruft meinen Namen und stellt sich neben mich. Er nimmt meine Hand und ein tiefes, kehliges Grollen kommt aus seiner Brust. Ein schneller Blick in seine Richtung verrät mir, dass er sich halb verwandelt hat. Die senkrechten Schlitze seiner Drachenaugen zittern bedrohlich. Seine animalische Kraft nährt meine und plötzlich fühle ich mich stärker. Zusammen treten wir dem Bären entgegen.
Der Bär taxiert uns noch eine Weile. Dann wendet er mit einem Grunzen seine dunklen, intelligenten Augen von uns ab, dreht sich um und macht sich wieder auf die Suche nach etwas Interessanterem. Mein Atem beruhigt sich, als er sich entfernt, und ich bewundere die starken Muskeln, die sich unter seinem dicken Fell abzeichnen. Ich bin erleichtert, dass keiner von uns gezwungen war, das wunderschöne Tier zu töten.
Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als ich mich zu Cassian umdrehe. Und dann fällt mein Blick auf Will. Er steht direkt hinter uns und in seinen Augen liegt etwas, was ich noch nie an ihm gesehen habe. Es ist eine Mischung aus Zweifel und Schmerz. Dieses Gefühl spiegelt sich auf seinem ganzen Gesicht wider.
Ich befreie meine Hand aus Cassians Griff und wische sie an meinem Oberschenkel ab, als könnte ich damit seine Berührung ungeschehen machen. »Will –« Ich will ihn fragen, wie lange er schon da steht und uns beobachtet, halte mich aber gerade noch zurück. Das würde schuldbewusst klingen und ich habe mir nichts vorzuwerfen. Nichts, außer die Wahrheit verschwiegen zu haben.
Will zeigt auf Cassian. »Woher hast du gewusst, dass sie in Schwierigkeiten steckt? Du warst kaum wieder am Lager angekommen, als du dich umgedreht hast, losgerannt bist und gerufen hast, dass Jacinda in Schwierigkeiten steckt. Du hast
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