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Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers

Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers

Titel: Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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und – beinahe hätte es ihm den Atem verschlagen: keine sauber gezogenen Buchstaben mehr, die ordentliche Handschrift war verschwunden! Statt dessen machte sich jetzt auf den Seiten ein Schriftbild breit, das schlampig und krakelig über die Trennlinien lief; eine Klaue, die Kerben und Furchen im Papier hinterlassen hatte; das Gekritzel eines Schmieranten, dem scheinbar jeder Sinn für feinere Nuancen und Eleganz fehlte. Das Ganze sah eher aus wie jene Schweinerei, die eine Spinne anrichtet, die – nachdem man sie in ein Tintenfaß getaucht und anschließend über das jungfräulich weiße Papier gescheucht hat – wild um sich zappelt und wütend versucht, die Tinte wieder loszuwerden. Und – es war eine Handschrift, die Klayth auf irgendeine sehr beunruhigende Weise bekannt vorkam.
    Ganz oben am Seitenrand stand der erste Eintrag in dieser neuen Handschrift: ›S. Ch. Reiberling, Silbenstechergasse, Isolon; Sekretär; 1012 bis 1025 MEZ – entlassen‹.
    Plötzlich fiel es Klayth wie Schuppen von den Augen. Er hörte zu lesen auf und überlegte: Jedes dieser unbekannten Wörter bezeichnete einen Beruf, jeder Name stand für einen Menschen, alle diese Menschen hatten hier gearbeitet … Er sah sich die Spalte ›Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses‹ genauer an und stellte fest, daß dort – mit Ausnahme eines gelegentlichen ›verstorben‹ oder ›verbannt‹ – immer wieder der gleiche Eintrag auftauchte: ›Entlassen‹. Und alle diese Entlassungen waren in der zweiten Hälfte des Jahres 1025 MEZ vorgenommen worden … Fragen über Fragen! Fragen, die auf ihn einstürmten, die sich auf ihn stürzten wie die Motten aufs Licht.
    Wo waren diese Menschen jetzt?
    Wer hatte sie entlassen?
    Warum kam ihm die Handschrift so schrecklich bekannt vor?
    Warum wurde er das Gefühl nicht los, daß hier etwas ganz entschieden nicht in Ordnung war?
    Wie hieß doch gleich wieder dieses Wort, mit dem man jene unbehagliche Empfindung bezeichnete, die sich aus Informationsbruchstücken, bestimmten Vorfällen und einem mulmigem Gefühl im Bauch zusammensetzte, dieses vage Gespür, das nur eine ganz bestimmte Schlußfolgerung zuließ? Erster Buchstabe ›V‹. Fünfter Buchstabe ›A‹. Insgesamt acht Buchstaben?
    Ein Wörterbuch wäre jetzt ganz brauchbar gewesen.
    Vermutung. Nein. Zu lang.
    Verifikation. Imposantes Wort. Aber falsch.
    Skepsis. Zu kurz. Fängt außerdem mit ›S‹ an.
    Verdauungsstörung. Blödsinn!
    V…a… Nicht rauszukriegen!
    Ver…a… Genau! Das ist es!
    Verdacht.
    Klayth stand auf und rannte los – ohne daß er eigentlich sagen hätte können, warum –, rannte hinüber zu den Zehntscheuern. In diesem Augenblick öffnete sich am anderen Ende der Bibliothek die Tür, ein hochgewachsener Mann trat ein und begann zu suchen. Soweit er sich erinnerte, würde er in wenigen Minuten gefunden haben, wonach er suchte.
     
    Ein, zwei Flügelschläge und das scharrende Geräusch von Vogelkrallen auf einem steinernen Fenstersims zeigten an, daß Arbutus im obersten Stockwerk des höchsten Turms gelandet war. Er hüpfte ein Stück nach vorn, sah sich um, flog dann wieder auf und ließ sich schließlich auf einem verstaubten Holzbrett nieder.
    Die Trümmer der mächtigen Eichentür lagen immer noch, wie sie gefallen waren, eine einsame Fußspur zog sich durch die dicke Schicht aus Holzsplittern und Staub, die den Boden bedeckte.
    Gut dreißig Augenpaare sahen aus den Käfigen auf den Ankömmling, musterten ihn mit jener begriffsstutzigen Neugier, wie sie bei gefiederten Wesen so häufig beobachtet werden kann.
    Arbutus legte die Flügel auf dem Rücken zusammen, machte kurz ein paar Kniebeugen und stieß eine Reihe gurrender Geräusche und geistloser Triller aus – was im Taubenidiom etwa soviel hieß wie ›Ach, du meine Fresse! Was is’n hier passiert?‹
     
    »AAAAAAAAAaaaaaah!« schrie Hogshead, der, wild mit den Armen fuchtelnd, durch den dämmrigen Korridor stürmte. Knapp hinter ihm kamen Courgette und der Pastetenbäcker, die vermutlich etwas Ähnliches geschrien hätten, hätten sie noch die nötige Puste gehabt. Den Schluß bildete Firkin, der verzweifelt versuchte, an irgend etwas anderes zu denken als an die beiden riesigen Schloßwachen, die ihm dicht auf den Fersen waren, beziehungsweise an das, was die beiden mit ihnen anstellen würden, wenn sie sie schnappen sollten. Es gelang ihm nicht. Doch dann …
    Sie gelangten an eine Kreuzung. Eine Millisekunde nur, dann hatten sie sich

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