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Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers

Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers

Titel: Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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verdunkelten Raum und blickte über endlose Reihen magischer Hinterköpfe. Ganze vorn, an der Stirnseite des Raums, stand auf einem kleinen Podium eine Gestalt und ordnete raschelnd einen Stoß Papiere. Whintz’ Erinnerung gab einem Magus, der ganz außen in einer Sitzreihe saß, per Gebärdensprache zu verstehen, ein wenig aufzurücken, und nahm dann Platz, um sich den Vortrag anzuhören. Auf die Wand hinter dem Vortragenden projizierte eine Laterna magica das Vortragsthema, das kurz und bündig folgendermaßen lautete:
     
    EINIGE FAKTEN ÜBER MAGIE
     
    Der Vortragsredner bat um Ruhe im Saal, er räusperte sich und – nachdem die Saalbeleuchtung noch etwas weiter gedämpft worden war – begann:
    »Um wahrhaft Zauberer zu sein, um die Fähigkeit zu erlangen, Zaubersprüche und Beschwörungsformeln ohne Rückgriff auf Fachlexika und Fremdwörterbücher zu prononcieren, um die Wirklichkeit zu behexen und zu verdrehen und das Gesetz von Ursache und Wirkung um den sprichwörtlich kleinen Finger zu wickeln – dazu muß man nicht der siebte Sohn der einäugigen Schwiegermätresse eines Seehundes sein. Jeder hat die Möglichkeit, mehr oder weniger effektiv und erfolgreich die Kunst der Thaumaturgie zu erlernen.«
    Erheitertes Gemurmel lief durch das Auditorium.
    »Voraussetzung effizienter Magie ist die Fähigkeit zu ›verstehen‹. Im Grunde nicht mehr als die Fähigkeit, Worte so zu bilden und zu formen, daß sie die entsprechende Sorte Magie in einem bestimmten Subjekt bündeln, auch dann, wenn das betreffende Subjekt noch so abgeneigt sein sollte, dieses zuzulassen.
    Zur Verdeutlichung ein Beispiel, das jedem vertraut ist: Biegt man einen Drahtkleiderbügel in der entsprechenden Weise und steckte ihn in ein kleines Transistorradio, dann kommt unten Musik heraus. Nicht anders verhält es sich mit der Magie.
    Worte sind die Drahtkleiderbügel der Magie.
    Wir sind von Magie umgeben. Magie ist überall und allerorten, ist eingeschlossen in Zeiten und Räumen, die neben und mit uns sind. Und um diese ätherische Kammern aufzuschließen, dazu bedarf es lediglich der Kunst der korrekten Anordnung der Worte.
    Natürlich muß man wissen, was man tut. Der Schlüssel zu diesem überreichen ätherischen Reservoir uralter Macht ist eine Kenntnis, die weiter reicht als die Kenntnis von der inneren Natur der Sätze, die unmittelbarer wirkt als Stilistik oder Grammatik, die zutreffender ist als das Geflecht der Assonanz. Die weit älter und tiefer ist als jedes Werk der landläufigen Literatur. Wer die Kunst der Magie recht praktizieren will, muß Meister sein in der uralten Kunst des Formulierens.«
    Eine Hand hob sich, meldete eine Frage an. Der Vortragende antwortete, noch bevor die Frage gestellt werden konnte.
    »Nein, nein! Nicht jene Kunst, die auf die Beherrschung der Regularitäten der syntaktischen Oberflächenstruktur abzielt. Es handelt sich um etwas weit Umfassenderes, um etwas wesenhaft Ganzheitlicheres, Holistischeres. Um Meister in der Kunst wahren Formulierens zu sein, dazu bedarf es unbedingt fundierter Kenntnisse bezüglich Tempo und Geschwindigkeit, Absatz und Paragraphenfolge, adverbialer Konvolute und der die Infiltration Dritter bestimmenden Parameter.
    Ansonsten könnte man sich genausogut ein Buch nehmen, es in einem sehr kleinen Raum in sehr kleine Fragmente zerkauen und auf die Gelegenheit warten, daß sich nach Ablauf einer bestimmten Prozedur die Fragmente wieder in der richtigen Weise anordnen.«
    Whintz’ Erinnerung verspürte ein seltsames Unbehagen – sie stand auf und schlich sich hinaus.
     
    »Bist du sicher, daß er wirklich ›erste links‹ gesagt hat?« flüsterte Hogshead ängstlich.
    »Ja. Hast du doch auch gehört, oder?«
    »Hab ich zumindest gedacht. Sieht mir aber gar nicht so aus, als wären wir hier richtig. Ziemlich finstere Gegend.« Hogshead blickte sich nervös um und rückte näher an Firkin heran. Griesgrämig und gelangweilt schaute eine kleinere Ansammlung Ratten zu, wie die beiden Jungen die schmale Seitenstraße entlangschlichen. Das Straßenpflaster – wenn man diese großartige Bezeichnung auf den Streifen holprigen Boden überhaupt anwenden konnte, dessen traurige Aufgabe darin bestand, den Raum zwischen zwei schäbigen Häuserzeilen zu füllen – glänzte schwach im trüben Licht, das aus den Schaufenstern auf die Straße fiel. Die Tatsache, daß es glänzte, kam Hogshead äußerst merkwürdig vor: Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet, und selbst wenn es

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