Sternenfall: Roman (German Edition)
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Millionen Jahre lang war die Sonne nichts weiter gewesen als die hellste Lichtquelle am Himmel, ein kalter Stern, der sich wenig von den abertausend anderen unterschieden hatte, die am schwarzen Firmament sichtbar waren; jetzt wurde sie Monat für Monat, Jahr für Jahr zusehends größer. Die Veränderung ging nicht ohne Präzedenzfall vonstatten. Vor einer Milliarde Jahre war der Planetoid mit einem die Erde weit jenseits des Pluto umkreisenden Trümmerstück kollidiert. Die Wucht des Zusammenpralls hatte seine Umlaufbahn für immer verändert. Einhundertundelfmal war der Planetoid tief in das feurige Innere des Sonnensystems eingetaucht, war um die Sonne herumgewirbelt und hatte sich dann ein weiteres Mal in die kalte Schwärze zurückgezogen. Jedes Mal war das Ereignis von einem Hellerwerden des fernen gelben Sterns angekündigt worden.
Etwa zu dem Zeitpunkt, als die Sonne als Scheibe erkennbar wurde, regten sich über den vereisten Ebenen und Felsklüften ätherische Winde, denn Wasserstoff und Sauerstoff verwandelten sich allmählich in Dampf. Die Winde waren zunächst so unstofflich wie Gespenster, kaum mehr als einzelne Moleküle, die der schwachen Gravitation des Planetoiden entschlüpften. Später dann, als die Sonne am Himmel noch größer geworden war, begann die verschneite Oberfläche schwache Gasströme auszustoßen, Staub und Dampf. So schwach sie auch war, reichte die Schwerkraft des Planetoiden doch aus, ihn mit einer Schicht von hauchdünnem Nebel zu umhüllen. Als das fliegende Gebirge die Umlaufbahn des Uranus kreuzte, war der Nebel so dicht geworden, dass er den Planetoiden vor jedem verbarg, der ihn unter den Hintergrundsternen anpeilen mochte.
Amber Hastings saß an ihrem Schreibtisch und beobachtete versonnen, wie das große Hundert-Meter-Komposit-Teleskop des Farside-Observatoriums schwerfällig in Position schwang. Ihr Blickwinkel lag von dem riesigen Apparat aus beinahe exakt in Sonnenrichtung. Beim Zusehen streckten sich länger werdende Schatten über den Boden des Mendelejew-Kraters aus. Das Bild stammte von einer der Hochkameras, die so angebracht waren, dass sie ein Panoramabild des größten astronomischen Instruments im Sonnensystem lieferten. Im Hintergrund erhob sich der graubraune Rand der westlichen Kraterwand, von keiner Atmosphäre getrübt, als scharfes Relief über den gewölbten Horizont.
Das Teleskop schien eine Art riesige metallische Blume zu sein, die Lunas luftlosem, sterilem Boden entspross. Die sechseckigen Blätter der Pflanze reflektierten die Umgebung mit der Verzerrung parabolischer Spiegel. An drei Stellen an der Peripherie des Instruments hoben sich auf ausfahrbaren Galgen flache Spiegel himmelwärts, die an sonderbar verrenkte Staubgefäße erinnerten. Die Ähnlichkeit mit einer fremdartigen Pflanze wurde noch durch die Schutzhülle des Teleskops verstärkt, deren acht Elemente wie die Blütenblätter einer Rose zurückgefaltet waren.
Amber sah zu, wie der riesige Apparat bei einer Ausrichtung ungefähr auf den galaktischen Süden zur Ruhe kam. Von den Fünf-Meter-Spiegeln des Teleskops wurde Sternenlicht zu dem Fokusverdichter Nummer drei reflektiert, der das hochgradig gebündelte Bild in den Strahlenleiter schickte. Von dort wurden die Photonen in den Messraum des Observatoriums geleitet, fünfzig Meter unter der Oberfläche des Kraters. Dort wurde das Licht von einer Reihe komplizierter Geräte untersucht, in der Hoffnung, dass es dazu gebracht werden konnte, seine Geheimnisse preiszugeben.
Amber Elizabeth Hastings war eine typische Lunarierin, hochgewachsen nach irdischen Maßstäben – ein Meter achtzig – und mit einer Neigung zur Schlaksigkeit. Die Shorts, das ärmellose Trikot und die Slipper, die die normale Kleidung in den klimatisierten Städten Lunas darstellten, verbargen ihre volle, wenn auch grobknochige Figur nur wenig. Sie war eine nordische Blondine mit blauen Augen. Im Gegensatz zu den kurzgeschnittenen Frisuren, die von den meisten Frauen auf Luna bevorzugt wurden, trug sie ihr Haar schulterlang.
Amber war vor fünfundzwanzig Jahren in der kleinen Siedlung Miner’s Luck geboren worden, nahe dem Darwin-Krater auf der Hochebene von Nearside, der erdzugewandten Seite des Mondes. Im Alter von achtzehn Jahren war sie mit der Absicht, Umwelttechniker zu werden, zur Universität von Luna gewechselt. Bald schon hatte sie erkannt, dass ein Leben in den Eingeweiden der Mondstädte keine große Attraktivität für sie besaß, und
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