Firkin 2: Die Frösche des Krieges
unglaubliche Dankbarkeit auch zum Ausdruck bringen wollten. Dieses Buch und mit ihm noch viele andere, die in den Tiefen der Bibliothek verborgen waren, enthielt alle Zaubermacht, die er brauchte. Er mußte nur zugreifen – wie auf dem Servierteller lag sie vor ihm und wartete wie eine üppig gedeckte Bankettafel nur darauf, daß er darüber herfiel und das Angebot mit rasender, thaumaturgischer Unersättlichkeit verschlang.
Er hätte nur noch wissen müssen, wie man an die Sächelchen herankam.
Die ASCII-Schrift [7] zum Beispiel konnte er absolut nicht entziffern. Die Sache war nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hatte. Und schon gar nicht so einfach, wie Franck es ihm geschildert hatte. Der alte Prospektor hatte mit keinem Wort erwähnt, daß magische Texte in einer anderen Schrift geschrieben waren, die ganz andere Buchstaben verwendete und – was noch schlimmer war – keine Abstände zwischen den einzelnen Wörtern setzte. Letzteres mochte ja das Schreiben ganz enorm vereinfachen – das Lesen war dafür eine Heidenarbeit. Vom korrekten Vorlesen ganz zu schweigen. Zu den allerersten Ausbildungsschritten im Studium des Zauberns und Verzauberns gehört die Vermittlung jener unbedingt erforderlichen Fertigkeit, den Verstand in zwei ungleiche Teil aufspalten und sich mit dem einen auf die Formation der thaumaturgischen Wellenleiter (auf das eigentliche ›Zaubern‹ also) konzentrieren zu können, mit dem anderen (und wie manche meinen, dem wichtigeren Teil) auf das um vier oder fünf Zeilen ›Vorausgreifende Lesen‹, um eine geeignete Textlücke, die sogenannte ›Verschnaufpause‹ ausfindig zu machen. Man weiß, daß unzureichende Atemtechnik dazu geführt hat, daß viele Zauberlehrlinge wegen akuten Sauerstoffmangels blau angelaufen und in Ohnmacht gefallen sind – insbesondere bei der Rezitation des Pandimensionalen Mantras in b-Moll. Atemtechnik war das A und O, wer Atemtechnik beherrschte, der erzielte mit ziemlicher Sicherheit auch gute Resultate.
Alle diese Schwierigkeiten: Atemtechnik, Lesen, hyperkorrekte phonetische Aussprache – sie waren zu meistern, wenn man unbegrenzt Zeit und eine unendliche Zahl von Leben zur Verfügung hatte. Hogshead hatte das große Glück, daß ihm ein Tutor zur Seite stand. Und wenn dieser private Lehrmeister auch nur knapp zwei Zentimeter groß und grün war und die Welt durch zwei Facettenaugen sah, so war ihm doch die Magie im Wortsinn in Fleisch und Blut übergegangen – seit er sich eines Nachmittags einmal einen leichten Imbiß vom Anhang IIIb (einem Buch, das Whintz gehörte, dem Fahrenden Zauberer) genehmigt und sich dadurch einen genauen und bemerkenswert gründlichen Einblick in die Welt der Magie verschafft hatte. Außerdem hatte er während der Zeit, die er mit dem Zauberer Merlot verbrachte, eine ganze Menge gelernt. Ch’tin war also bestens gerüstet, um Hogshead zu helfen, um ihn anzuleiten und vor allen, um Hogshead davon abzuhalten, irgendwelche hochgradig törichten Dummheiten zu begehen.
Man konnte also davon ausgehen, daß Ch’tin schon sehr bald und sehr dringend benötigt werden sollte.
Hogshead saß vollkommen still und reglos auf seinem Stuhl. Nur gelegentlich einmal blätterte er eine Seite um. Er war in das uralte Buch vertieft, das er vor sich liegen hatte, war so versunken wie eine Katze, die in einen kleinen Teich starrt, gebannt vom Anblick des Fischschwarms, der unter der spiegelglatten Wasserfläche vorbeizieht. Noch nie hatte Courgette gesehen, daß ihn irgend etwas sosehr in Bann geschlagen hätte – ausgenommen vielleicht eine schön verzierte, frischgebackene Schokoladentorte. Doch das war anders, war unschuldiger, naiver gewesen. Aber dieser Hunger … Was sie jetzt in seinem Gesicht sah, das war – sie sagte es nicht gern; sagte es nicht einmal sich selbst gern – Machthunger.
Und dann … Plötzlich wurde das dumpfe Schweigen gebrochen. Hogshead pochte mit dem Zeigefinger auf die Buchseite, blickte Ch’tin an und sagte: »Den da!«
»Gefunden hast du einen Zauberspruch?« piepste das Würmchen. »Gut.«
»Aber … es ist doch nichts Gefährliches, oder?« fragte Courgette ängstlich.
»Gib sie mir!« forderte Hogshead herrisch und zeigte auf die Tasse, die Courgette in der Hand hielt.
»Ich hab aber noch nicht ausgetrunken!«
Hogshead zeigte auf den Tisch, auf eine Stelle ein paar Zentimeter vor sich, und Courgette ertappte sich dabei, daß sie gehorchte. Sein Blick beunruhigte sie.
»Brauch ich sonst
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