Firkin 3: Das Wurmloch ins Biblioversum
interessiert zuckten.
»Werfet Eure Perlen nicht den Säuen vor, denn deren Ohren sind nicht gepierced!«
Hinter einer anderen Ecke tauchten neugierige Gesichter auf, man wollte sehen, was dieser Wirbel zu bedeuten hatte.
»Meine geliebten Schwestern und Brüder!« schrie Bharkleed, dessen indigoblauer Talar sich plötzlich gewaltig blähte und bauschte. »Ich weiß, Ihr fühlt es, daß das Ende der Welt nahe ist. Ihr fühlt, daß das Gewebe der Realität an den Rändern einreißt, daß seine Nähte sich auftrennen. Sagt mir, was Ihr gesehen habt! Noch muß es nicht zu spät sein, noch könnt Ihr errettet werdet!«
Bharkleeds Ausführungen rührten an etwas tief im Inneren seines Publikums Verborgenes und brachten dort eine Saite zum Schwingen. Alle, die ihm zuhörten, hatten etwas gesehen, hatten etwas erlebt und hatten versucht, die Scheuklappen aufzusetzen, wegzusehen und nichts wahrzunehmen. Sie hatten es nicht geschafft. Der Glaube, es habe sich bei jenen widerlichen Vögeln, die sich in Scharen auf ihren Kaminen niederließen und dort Nester bauten, um Halluzinationen gehandelt, um Hirngespinste, hervorgerufen durch hochgradige Trunkenheit – dieser von Anfang an nicht sehr feste Glaube war wie Glas in unzählige glitzernde Splitter zersprungen, als man feststellen mußte, daß die Mistviecher heute morgen immer noch dagewesen waren und zu nachtschlafender Zeit ihren kakophonisch kreischenden, eindeutig byrogrottischen Morgenchoral anstimmten. Und als hätte das für eine Revision der Halluzinationstheorie noch nicht gereicht, hatte auch noch eine Herde Ratzjen rücksichtslos grötzend die Nacht durchgemacht und das ganze Viertel wachgehalten. Es konnte keinen Zweifel mehr geben: Irgend etwas war absolut nicht in Ordnung. Und dieser Zustand wurde von Minute zu Minute schlimmer.
»Ich kann Euch das Unerklärliche erklären!« Bharkleed gestikulierte wie ein Marionettenspieler. Seine Hände holten die Zuhörer aus der Menge, als würden sie an Fäden hängen; mit jedem Zucken seines vorgeblich heiligen Fingers zog er sie an, mit jedem Wink seiner Hand trieb er sie näher an den gefährlich rutschigen Rand der Fallgrube von Sankt Mammon.
Plötzlich galoppierte eine gespenstisch abgezehrte Gestalt mit lautem Gebrüll über den Platz: der Hunger. Er schwang einen Poloschläger.
In Sekundenschnelle war jeder Zentimeter Raum besetzt. Mit panischer Furcht strömten die Menschen in Massen auf dem Platz zusammen, sie wollten wissen, was es mit dem Basilisken in der Badewanne auf sich hatte, warum ein Salamander im Spülbecken saß oder was ungezählte andere Vorkommnisse dieser Art zu bedeuten hatten. Die gespannte Erwartung stieg immer mehr an, die Menschen schrien ihre Fragen, brüllten sie hinaus, der Lärm nahm unaufhörlich zu. Als die Anfragen katechetische Unterweisungen auslösten und diese wieder zur Verdopplung der Nachfragenmenge führten, bildete sich eine Aura über dem gepflasterten Platz. Und diese Aura steckte ihre inquisitorischen Finger in Kehlen und Gurgeln, griff nach den skeptischen Restbeständen in jedermanns Herzen und kitzelte die dunklen Ahnungen und Ängste heraus, die alle Umtrieben, die von dem Unerklärlichen gehört oder gelesen hatten. Die Aura sprenkelte Phosphate, Nitrate und essentielle Aminosäuren über die keimende Saat der allgegenwärtigen Panik, begoß sie mit dem Brunnenwasser der Besorgnis und sah begeistert, wie die verkümmerten Schößlinge der Unruhe sich aufrichteten und grünten. Die Disteln der Hysterie trieben Blüten.
Gerade als König Kharthezsh mit wilder Wut dem nächsten Neunauge den Kopf abriß, startete hoch oben auf dem Lüginsland eine früh erwachte Schleiereule. Immer noch keine Nachricht von Klayth! Allmählich reichte es ihm. Er mampfte und malmte, fauchte und knurrte und verfluchte die Schwarze Garde wegen ihrer Unfähigkeit. Sechs Stunden hatte sie jetzt Zeit gehabt, und hatte was erreicht? … Nichts! Da müßten Köpfe rollen, eine Saumseligkeit dieser Art durfte nicht ungestraft bleiben! Wichtige Fragen mußten jetzt geklärt werden! Zum Beispiel die, wer als erster dran war!
Und während in seinem Kopf ein Chaos aus finsteren Gedanken und üblen Launen kochte und brodelte, trübte sich sein Blickfeld, begann zu wirbeln und spaltete sich auf – es war, als hätte sich die Realität in eine Amöbe verwandelt, die gerade das Geschäft der Reproduktion verrichtete. Kharthezsh blinzelte verstört, rieb sich die Augen und starrte ungläubig
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