Firkin 3: Das Wurmloch ins Biblioversum
würde das nicht verhindern können. Sein Königreich würde ihm entrissen werden – es sei denn, sein Sohn würde seine Herrschaft weiterführen.
Zum ersten Mal ihm Leben fühlte er sich verwundbar und schutzlos. Als hätte man ihm seine Lieblingsunterwäsche gestohlen.
Er stürmte aus dem Zimmer seines Sohnes und ließ sich brüllend Neunaugen und Met auf sein Gemach servieren. Und zwar gleich! Oder besser: noch schneller!
Hoch oben im Turmzimmer des Lüginsland starrte eine Eule zwischen ihren krallenbewehrten Zehen hindurch und beobachtete gelangweilt eine Gruppe winziger Männer, die tief unten in dem gepflasterten Hof einen kleinen Stand aufbauten. Sie werkelten angestrengt, stellten Fahnenmasten auf und schlugen frischgemalte Werbeplakate an. Jeder von ihnen war überzeugt, daß sie heute Erfolg haben würde. Heute war es soweit: Die Stimmung, die die Menschen erfaßt hatte, brauste wie eine mächtige Grunddünung im Meer des Unglaubens. Man roch es am Duft der Vollreifen Gerüchte, der durch die Luft zog; man hörte es aus den Gesprächsfetzen, die Klatsch und Tratsch transportierten; man konnte es sogar lesen: Der Cranachische Merkur berichtete ausgiebig von unerklärlichen Vorkommnissen, streute Schnipsel des Mysteriösen unters Volk und schürte so das brennende Interesse am Abstrusen und Absonderlichen. Eine Flut von Leserbriefen schilderte Begegnungen mit fiktiven Kreaturen, die in den Bergen der Umgebung umgingen; Flüchtlinge, die noch rechtzeitig aus der ausgebrannten Ruine von Isolon hatten fliehen können, beschrieben das grauenhafte Wüten des Drachen. Das Bollwerk der skeptischen Ablehnung war brüchig geworden. Die Hohenpriester der Hochkirche von Sankt Mammon dem Ungewaschenen hatten die Schwachstelle erkannt und waren fest entschlossen, in diese Kerbe zu hauen und Kapital daraus zu schlagen.
Tief unterhalb der Eulenzehen trat Seine Eminenz, Bharkleed der Leidenschaftlich Exaltierte, ein paar Schritte zurück und bewunderte das Resultat ihrer Arbeit, während S.H.A. Wenzl der Maßlos Gesalbte und im Augenblick ebenso stark Verschwitzte eben noch den letzten Nagel einschlug.
Beim Anblick der Bretterbude, die entfernt an einen Altar erinnerte, lief es Bharkleed prickelnd über den Rücken: Auf der erhöhten Plattform stand eine geräumige Holztruhe, die mit einem alten dunkelgrünen, mit merkwürdig wirbeligen Mustern bemalten Vorhang verhüllt war. Zu beiden Seiten des Podiums waren hohe Masten aufgerichtet. Und diese Masten trugen ein aus mehreren Dielenbrettern (die man sich für diesen Zweck geborgt hatte) zusammengeklopftes Schild, auf dem die folgende Botschaft stand:
DAS JENSEITS IST NAHE!
EIN WITZBOLD, WER ES LEUGNEN WOLLTE!
PROFESSIONELLE FÜRSPRACHE FÜR JEDEN, DER SICH KEINE BLÖSSE GEBEN WILL, WENN ER DAS ANDERE UFER BETRITT!
Seine Spektabilität, Flaezz der Höchstpostamentierte, stellte sich neben Bharkleed und beobachtete mit ihm, wie Wenzl vom Mast herunterkletterte. Der Maßlos Gesalbte schlug sich das Schienbein an und fluchte.
»Bruder Wenzl! Hüte deine Zunge!« wies ihn Bharkleed zurecht.
Worauf ihm ein Schwall lästerlicher Flüche entgegenschlug, in denen eine extreme Abneigung gegen Schwerarbeit in großen Höhen zum Ausdruck kam.
»Du kannst von Glück reden, daß ich diesen Mauersims da oben nicht schon vor Beginn unserer Arbeit entdeckt habe!« Bharkleed zeigte auf einen schmalen Fenstersturz im oberen Drittel des Lüginsland.
Wenzl sah hinauf und offerierte noch einmal ein halbes Dutzend frevelhaftester Verwünschungen.
Kurze Zeit später war es soweit: Die unzähligen auf der Truhe aufgestellten Talgkerzen waren entzündet, überall lagen – raffiniert unzeremoniell verstreut – ehrfurchtgebietende Bücher, und mittendrin wartete ein gewaltiger Formularstapel, die Bescheinigungen zum Nachweis des Bedingungslosen Glaubens, darauf, daß sich bereitwillige Unterzeichner der frisch zugeschnittenen Federkiele bedienten und ihre Unterschrift leisteten.
Bharkleed stand hinter der Truhe, schlug das Rote Buch Mammon, das Proselytische Manuskript, auf und las:
»Vertrauet nicht dem Zinsgewinne der Banken und Geldhäuser, denn siehe, er wird besteuert werden!« verkündete er. »Ich aber werde Euch, so spricht Sankt Mammon, eine spirituelle Liegestatt sein, die Sicherheit bietet, Komfort und einen Platz, um Eure Risikoängste darunter zu verstecken!«
Hinter der nächsten Ecke traf Bharkleeds inbrünstige Rede auf mehrere offene Ohren, die
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