Fischerkönig
oder ob der kraftvolle Motor der Karosse in der Ferne zu hören war. Aber sie lauschte und schaute vergeblich. Kurz vor drei beschloss sie, ins Bett zu gehen. Vielleicht war der alte Sack doch noch in die Mauerklause gegangen.
Sonntag, 10. August 2014
»Wie weit ist es denn noch?«, wollte Lisa Luft wissen. Sie saß neben ihrem Kollegen und Partner Heiko Wüst in dessen M3, einem BMW, der sein ganzer Stolz war. »Nicht mehr weit«, informierte der Kriminalkommissar. Auch nach anderthalb Jahren in Hohenlohe staunte die ursprünglich nordrhein-westfälische Lisa noch immer über die Weitläufigkeit der Landschaft. Hier in der Gegend konnte man manchmal kilometerweit durch die sanft gewellten Hügel fahren, ohne auch nur auf ein Dorf zu treffen. Einige der Weiler, durch die der Weg dann doch führte, bestanden aus nicht einmal 20 Häusern. Man konnte es nicht anders sagen – hier, zwischen Goldbach und Schwarzenhorb, war die Landschaft die reinste Idylle, voller Obstbäume, die schon lange nicht mehr blühten, aber dafür bereits kleine Früchte trugen, die schnell wachsen würden. Und auf den Wiesen leuchteten Hahnenfuß, Lichtnelken und Ochsenaugen. Die Luft flirrte vor Hitze, und selbst im Vorbeifahren konnte man das ohrenbetäubende Zirpen der Grillen hören. Die Wälder waren düster und schwer von einem satten Dunkelgrün, das es nur zu dieser Jahreszeit gab. Es war ein schöner Spätsommertag, und sie fuhren mit offenem Dach. Denn der M3 war ein Cabrio. Ein Auto, das die beiden Kommissare auch als Dienstwagen benutzten. Aber momentan waren sie nicht im Dienst. Sie waren privat unterwegs, auf dem Weg zum Sommernachtsfest des Fischereivereins. Heikos Vater war ein langjähriges Mitglied dieses Vereins, und so war es Ehrensache, dass die ganze Familie bei diesem Fest dabei war. Die Veranstaltung fand im und ums Fischerheim am Asbacher Weiher statt. Lisa war noch nie dort gewesen, aber Heiko hatte versprochen, dass es dort schön sei. Sie bogen in Waldtann nach links ab und folgten einer Straße, die eher ein Feldweg war. Trotzdem gab es hier Straßenschilder, an einer Gabelung ging es links nach Wüstenau und rechts nach Asbach. Heiko folgte dem Weg, der sich etwa einen weiteren Kilometer durch sanfte Hügel und weite Felder schlängelte, bis sie schließlich an ihrem Ziel waren.
Der hohenlohische Kriminalkommissar parkte den Wagen, und sie passierten eine kleine Allee, neben der der Bach plätscherte, der den Weiher speiste. Verstohlen musterte Heiko seine Freundin. Sie sah umwerfend aus in ihrem leichten, rotgeblümten Sommerkleid, das ihr kaum bis zum Knie reichte. Die langen blonden Haare hatte sie zum Pferdeschwanz gebunden. Außerdem trug Lisa hochhackige Pumps, was zwar gut aussah, wie Heiko fand, aber in diesem Fall doch ziemlich unpraktisch war, weil sie ja immerhin durch die Wiese laufen mussten. Sie hatten die Allee umrundet, und zu ihrer Rechten lag jetzt ruhig und friedlich der Asbacher Weiher, wo schon mehrere Kinder am flachen Wasser spielten. Geradeaus entdeckte Lisa ganze drei Häuser, die wohl Asbach bildeten. Und links war geschäftiges Treiben im Gange. »Lisa! Heiko!«, ertönte eine Stimme. Es war Heikos Mutter, die aufgeregt winkte und auf sie zukam. Die Kommissarin registrierte das Fischerheim links, das im hellen Sommerlicht düster und höhlenartig wirkte. Die meisten Menschen saßen allerdings an Tischen, die unter einem gewaltigen weißen Zelt aufgestellt waren. Ein Duft nach Würstchen und gebratenem Fisch erfüllte die Luft. »Lisa, mei Madle!«, begrüßte Doris Wüst ihre Schwiegertochter in spe und umarmte sie stürmisch. Auch Heiko wurde geknuddelt, nur weniger auffällig, weil ihm das immer so peinlich war. »Papa hat sich schon hingesetzt. Wir sind da drüben«, erläuterte Doris und wies auf einen der Tische.
Wenig später hatten sie alle ein Getränk vor sich stehen. »Und das ist jetzt also der Angelverein«, stellte Lisa fest und nippte am Apfelsaftschorle. »Der Angelsportverein!«, präzisierte Werner Wüst. »Und heute wird der neue Fischerkönig prämiert«, erklärte Doris, und ihr Tonfall verriet ergebenes Interesse an der Materie, wohl ihrem Mann zuliebe. »Fischerkönig?«, fragte Lisa zweifelnd.
»Ja, der wird beim Königsfischen ermittelt.« Werner Wüst nahm einen Schluck von seinem Hefeweizen. »Und was macht man beim Königsfischen?« Werner brummte. »Ja. Das ist immer an irgendeinem Gewässer des Vereins. Jedes Mitglied des Fischereivereins, das Zeit
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