Fischland-Rache
mutmaÃte, dass Tobias Harms zumindest ahnte, wie alles zusammenhing, doch der hatte geschwiegen. Er war nur ein bisschen eigenartig gewesen an jenem Abend und hatte ein paarmal zu Paul Freese geschielt, der davon allerdings keine Notiz genommen hatte â zu viel anderes musste sich in seinem Kopf abgespielt haben.
Dietrichs Finger hörten auf zu trommeln, weil endlich das Foto der beiden Jungs auf dem Desktop erschien â mit der Verknüpfung zu Sascha Freeses Brief. Paul Freese hatte den Inhalt bemerkenswert gelassen zur Kenntnis genommen, bis er zu dem Teil gekommen war, in dem es augenscheinlich um Heinz Jung ging. Dietrich fragte sich, was genau Kassandra Voà und Paul Freese alles vor ihm verborgen gehalten hatten. SchlieÃlich sagte er sich, dass es keine Rolle spielte. Manchmal musste man seinem Instinkt folgen. Er hatte das getan und die beiden ebenfalls.
Ehe er sich dem Dateiverzeichnis widmete, wollte er den Brief noch mal lesen. Er öffnete das Dokument und begann, doch vor dem zweiten Absatz durchzuckte der Schmerz sein Bein, wie schon mehrmals an diesem Tag. Er konnte sich nicht länger auf den Text konzentrieren, also stand er widerwillig auf und schluckte eine Tablette. Die Ãrzte konnten ihm nicht sagen, wann das aufhören würde. Ob es überhaupt aufhören würde oder ob er in Zukunft schlicht damit leben musste, dass es gute und schlechte Tage gab.
Er ging ein paar Schritte, um die Muskeln etwas zu lockern, setzte sich wieder hin und las bis zum Schluss, angewidert von dem Menschen, der Sascha Freese gewesen war. Dennoch nahm er ihm merkwürdigerweise seine letzte Bemerkung ab. Er glaubte ihm, dass er seinem Bruder alles Gute wünschte, als hätte er irgendein Gefühl für Paul Freese wiederentdeckt â was nach Dietrichs Empfinden umgekehrt keineswegs der Fall war. Das mochte in erster Linie daran liegen, dass Sascha Freese ihn in den siebziger Jahren an die Stasi verpfiffen hatte, aber Dietrich war davon überzeugt, dass es noch einen anderen Grund gab â vielleicht hatte der sogar mit Heinz Jung zu tun. Dietrich seufzte. Das ging ihn nichts an.
Er wollte gerade die Datei schlieÃen, da stutzte er, weil sein Blick auf die Statuszeile des Textverarbeitungsprogramms gefallen war. Dort stand die Seitenzahl des Dokumentes, demnach befand er sich mit seinem Cursor auf Seite zwei. Aber es gab noch eine dritte Seite, die Paul Freese und bis eben auch ihm entgangen war. Gespannt beugte Dietrich sich vor und scrollte auf die letzte Seite.
PS : Erinnerst Du Dich noch an die süÃe Schwester Monika? Die in dem Pflegeheim gearbeitet und mich so gern mit Informationen versorgt hat? Ja, ich bin sicher, Du erinnerst Dich. Monika hat immer noch was für mich übrig, glaub es oder nicht, jedenfalls treffen wir uns manchmal, und sie hält mich auf dem Laufenden, was so auf dem Fischland passiert. Sie hat mir von Deiner Freundin erzählt. Kassandra VoÃ. Bisschen jung für Dich, Bruderherz, aber hey, ich hab mir sagen lassen, sie sieht ganz nett aus. Ich werde es so einrichten, dass ich sie kennenlerne, wenn ich nach Wustrow komme. Nicht aus purer Neugier, sondern weil sie Heinzâ Nichte ist. Was bedeutet, dass sie Ullas Tochter sein muss, und wenn ich ein bisschen nachrechne ⦠Paul â weiÃt Du eigentlich, mit wem Du da zusammen bist? Ich meine, weiÃt Du, wer ihr Vater ist? Weià Kassandra, wer ihr Vater ist? Ich würde vermuten: nein. Ulla wird nicht so verrückt gewesen sein, das irgendwem zu verraten. Junge, Junge. Du lässt nichts aus, was?
Kay Dietrich lehnte sich nachdenklich wieder zurück. Sein Bein zwickte bei der Bewegung, doch er merkte es kaum. Er wusste nicht viel über Kassandra VoÃâ Privatleben, erinnerte sich allerdings, dass sie ihm bei ihrem Besuch im Krankenhaus erzählt hatte, wie das mit ihr und Heinz Jung zusammenhing, wie es herausgekommen war und dass sie auÃer Jung keine Verwandten mehr hatte. Jedenfalls keine, die sie kannte, weil der eine Teil in Kanada lebte und ihr der andere â die Seite ihres Vaters â vollkommen unbekannt war.
Dietrich griff nach seinem Smartphone, das neben dem Notebook lag, und suchte nach ihrer Nummer. Doch letztlich kappte er die Verbindung wieder, ehe er ein einziges Freizeichen gehört hatte.
Wenn er Sascha Freeses Worte richtig deutete, war die Identität von Kassandra VoÃâ Vater eine heikle
Weitere Kostenlose Bücher