Todesangst
1
Der Schmerz traf ihn wie ein weißglühendes Messer in die Brust und breitete sich in krampfartigen Wellen aus, die seine Kiefer und seinen rechten Arm lähmten. Schlagartig schnürte ihm eine mörderische Angst vor dem Tod die Kehle zu. Niemals zuvor hatte Cedric Harring ein derartiges Gefühl verspürt.
Ganz automatisch umklammerte er das Lenkrad seines Wagens fester, und während er nach Atem rang, gelang es ihm irgendwie, das schon ins Schleudern geratene Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bekommen. Er war gerade von der Berkeley Street im Zentrum Bostons auf den Storrow Drive eingebogen, um in westlicher Richtung mit dem brausenden Bostoner Verkehrsstrom mitzuschwimmen. Das Bild der Straße vor ihm wurde undeutlich und schien dann zurückzuweichen, als ob es sich am Ende eines langen Tunnels befände.
Mit äußerster Willensanstrengung gelang es Cedric, die Dunkelheit zu überwinden, die sich über ihn zu senken drohte. Allmählich wurde es wieder klarer um ihn - er lebte noch. Sein Instinkt sagte ihm, nicht am Bordstein anzuhalten, sondern so schnell wie möglich in ein Krankenhaus zu fahren. Zum guten Glück befand er sich zufällig in der Nähe des Krankenhauses seiner Privatkrankenversicherung »Good Health Plan«, des GHP-Hospitals. Du mußt durchhalten, sagte er sich.
Die Schmerzen wurden begleitet von einem furchtbaren Schweißausbruch, der auf der Stirn begann, sich aber bald über den ganzen Körper ausbreitete. Die Schweißtropfen liefen ihm in die Augen, doch er wagte nicht, seine Hand vom Lenkrad zu nehmen, um sie abzuwischen. Er bog vom Highway ab in Richtung auf Fenway, ein parkartiges Bostoner Stadtgebiet. Da kam der Schmerz wieder und schnürte ihm die Brust zusammen wie eine Schlinge aus Stahldraht. Die Wagen vor ihm verlangsamten vor einer Ampel ihre Geschwindigkeit. Doch er durfte, er konnte nicht anhalten - dafür war jetzt keine Zeit. Er drückte auf die Hupe, überholte sie alle und schoß über die Kreuzung, wobei er nur um Millimeter den Zusammenstoß mit anderen Fahrzeugen vermeiden konnte. Er nahm die erschreckten und empörten Gesichter der Fahrer wahr und war dann auf dem Park Drive, mit den Back Bay Fens und ihren ehemals gutbürgerlichen, jetzt vergammelten Gärten zu seiner Linken. Der Schmerz war nun andauernd und nahezu unerträglich.
Dort vorne rechts lag das Krankenhaus, an der Stelle eines ehemaligen Versandhauskomplexes. Nur noch eine kurze Strecke - o bitte… Endlich leuchtete eine große weiße Tafel mit einem roten Pfeil und den Worten NOTFALLAUFNAHME vor ihm auf. Cedric bog in die Einfahrt ein, konnte jedoch nicht mehr rechtzeitig bremsen und schlitterte an die begrenzende Betonwand. Dabei schlug er nach vorne auf Lenkrad und Hupe und rang nach Luft.
Als erstes stürzte der Pförtner auf seinen Wagen zu. Er riß die Tür auf und rief nach kurzem Blick auf das erschreckend bleiche Gesicht des Fahrers sofort nach Hilfe. Die Stationsschwester, Hilary Barton, erschien und forderte sogleich ein Rollbett an. Sobald die Schwester und der Pförtner Cedric Harring aus seinem Wagen gezogen hatten, tauchte auch schon einer der diensthabenden Ärzte auf und griff mit zu, um ihn auf die Bahre zu legen. Sein Name war Emil Frank, und er gehörte erst seit vier Monaten zum Ärzteteam. Auch ihm fiel sofort Harrings wächserne Gesichtsfarbe und dessen übermäßige Schweißabsonderung auf.
»Schweißausbruch«, stellte er gewichtig fest. »Wahrscheinlich ein Herzanfall!«
Schwester Hilary verdrehte die Augen. Natürlich war das ein Herzanfall - was denn sonst. Sie schob den Patienten rasch hinein und kümmerte sich nicht weiter um Dr. Frank, der sich sein Stethoskop in die Ohren gesteckt hatte und versuchte, Cedric Harrings Herztöne abzuhorchen.
Auf der Station angekommen, verlangte die Schwester sofort nach Sauerstoff, einer Infusion und dem EKG-Gerät, klebte die Elektroden auf die Brust des Patienten und schloß ihn an den EKG-Monitor zur Überwachung der Herzaktion an. Zugleich schlug sie Dr. Frank, der inzwischen die Infusion vorbereitete, vor, als erstes vier Milligramm Morphium intravenös zu verabreichen.
Als daraufhin der Schmerz etwas nachließ, konnte Cedric Harring wieder klarer denken. Gesagt hatte es ihm zwar niemand, aber es war ihm klar, daß er einen Herzanfall gehabt hatte. Außerdem war ihm bewußt, daß er nur sehr knapp dem Tod entronnen war. Und auch jetzt noch, mit der Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, den Infusionsschläuchen am Körper und
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