Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Überbringer einer wichtigen Nachricht ausweist.
Burrich wandte sich zu mir, sein Gesicht war ernst. »König Listenreich ist tot?«, sprach er die naheliegende Vermutung aus.
Ich empfand keine Überraschung, nur das Gefühl einer dumpfen Leere. Der kleine verängstigte Junge von früher duckte sich in mir, weil nun nichts und niemand mehr zwischen mir und Edel stand; ein anderer Teil von mir fragte sich seltsamerweise, wie es wohl gewesen wäre, ihn ›Großvater‹ zu nennen, statt ›Majestät‹. Aber das waren nur Bagatellen, verglichen mit dem, was dieser Tod für mich als den Vasallen des Königs bedeutete. Er hatte mich geformt, mich zu dem gemacht, der ich war, im Guten wie im Schlechten. Er hatte eines Tages mein Leben in die Hand genommen, das Leben eines kleinen Jungen, der unter dem Tisch in der großen Halle mit den Hunden spielte, und ihm seinen Stempel aufgedrückt. Er bestimmte, dass ich lesen und schreiben können sollte, ein Schwert führen und Gifte mischen. Jetzt war er tot, und mir wurde bewusst, dass ich von nun an selbst die Verantwortung für mein Handeln übernehmen musste. Ein beunruhigender Gedanke.
Mittlerweile hatten alle bemerkt, was der Anführer des Reitertrupps in der Hand trug. Wir machten Halt. Kettrickens Garde wich auseinander und teilte sich wie ein Vorhang, um die Reiter hindurchzulassen. Eine bedrückende Stille hing über uns, als der Bote ihr den Stab überreichte und dann die kleine Schriftrolle. Das rote Siegelwachs sprang von ihrem Fingernagel. Ich sah zu, wie es auf die morastige Straße fiel. Langsam entrollte sie das Pergament und las es, doch über dem Lesen schien etwas in ihr zu erlöschen. Ihre Finger öffneten sich kraftlos und sie ließ die Schriftrolle hinter dem Siegel her zu Boden fallen - wie ein Ding, das sie niemals wieder sehen wollte. Ihr schwanden nicht die Sinne, sie stieß auch keinen Schrei aus. Den noch hatten ihre Augen einen befremdlich fernen Blick, und sie legte wie schützend die Hand auf ihren Leib. Da wusste ich, nicht Listenreich war tot, sondern Veritas.
Ich spürte nach ihm und war überzeugt, irgendwo und wie verborgen auch immer einen Funken seines Bewusstseins auszumachen, den hauchfeinen Faden einer Verbindung aufzunehmen … doch vergeblich. - Wann hatte ich ihn denn verloren? Während den Kämpfen geschah es leicht, dass das Band zwischen uns zerriss. Dann fiel mir etwas ein, das ich im Getümmel der Schlacht von Guthaven für eine Art Wahnvorstellung gehalten hatte. Ich hatte geglaubt, Veritas’ Stimme zu hören, wie sie Befehle brüllte, die für mich keinen Sinn ergaben. Die Worte hatte ich nicht verstanden, aber mir wollte scheinen, dass er Anordnungen für unseren Angriffs aussenden wollte … Aber mit Gewissheit konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Ich schaute zu Burrich hinüber und sah die Frage in seinen Augen. Die einzige Antwort, die ich ihm geben konnte, war ein Schulterzucken. »Ich weiß nicht«, sagte ich lapidar, worauf sich seine Stirn in Falten legte.
Kronprinzessin Kettricken saß wie ein versteinert auf ihrem Pferd. Keiner machte Anstalten, sie zu berühren, keiner sprach ein Wort. Burrichs Gesicht sprach Bände. Voller Resignation sah er zum zweiten Mal einen Thronfolger stürzen, bevor der den Thron besteigen konnte. Nach ihrem langen Schweigen drehte Kettricken sich im Sattel um. Sie ließ den Blick über ihre Leibgarde wandern und über die Soldaten, die ihr folgten. »Prinz Edel hat die Nachricht erhalten, dass Kronprinz Veritas tot ist.« Ihre klare Stimme trug die Worte an jedes Ohr. Die letzte Fröhlichkeit erstarb, und die bis da hin noch herrschende Siegesfreude schwand aus vielen Augen. Sie ließ einige Momente verstreichen, damit alle die Botschaft in ihrer ganzen Bedeutung fassen konnten, dann nahm sie die Zügel auf, und wir ritten im Schritt das letzte Stück Wegs nach Bocksburg hinauf.
Am Burgtor ließ man uns ein fach passieren; die wach habenden Soldaten standen da wie zum Spalier. Einer salutierte flüchtig vor der Königin, was sie allerdings nicht bemerkte. Burrichs Miene verfinsterte sich zunehmend, doch er hüllte sich in Schweigen.
Im Burghof herrschte das gewohnte Treiben. Stallburschen kamen herbeigelaufen, um unsere Pferde zu übernehmen, während ringsumher jedermann seinen alltäglichen Geschäften nachging. Gerade die Vertrautheit der Szenerie versetzte mir einen Stich ins Herz. Veritas war tot. Es kam mir nicht richtig vor, dass das Leben dennoch weiterging, als sei nichts
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