Flammendes Eis
ungleichmäßige Stampfen der Maschinen der
Star
außer Acht zu lassen. Die Jahrzehnte auf See hatten seine Sinne geschärft. Noch ein weiteres Schiff fuhr durch den Nebel. Wer außer ihm war so töricht, in einer solch schrecklichen Nacht den Anker zu lichten? Vielleicht war es nur der Wodka, der seine Wirkung tat.
Ein neues Geräusch übertönte den vermeintlichen Fahrtlärm.
Aus den Passagierunterkünften erklang Musik. Jemand spielte Ziehharmonika, und mehrere Männer sangen im Chor. Es war die russische Nationalhymne,
»Baje Tsaria Krani«
. »Gott schütze den Zar.« Die melancholischen Stimmen machten Towrow traurig, und so kehrte er ins Ruderhaus zurück und schloss die Tür, um die vertraute Melodie auszusperren.
Bei Anbruch der Dämmerung lichtete sich der Nebel, und der verschlafene Erste Offizier schlurfte auf die Brücke, um den Kapitän abzulösen. Towrow nannte ihm den einzuhaltenden Kurs, trat hinaus in die ersten Strahlen der Morgensonne und gähnte. Sein Blick wanderte über das glatte blaue Meer. Er hatte sich nicht getäuscht. Parallel zum lang gezogenen Kielwasser der
Star
fuhr ein Fischerboot. Er beobachtete den Kutter eine Weile, zuckte dann die Achseln und drehte seine Runde, um alle Besatzungsmitglieder davon in Kenntnis zu setzen, dass der Zutritt zu den Offiziersquartieren verboten war.
Bislang verlief alles nach Plan. Zufrieden kroch der Kapitän angekleidet in seine Koje und schloss die Augen. Sein Erster Offizier hatte die strikte Anweisung, ihn sofort zu wecken, falls etwas Außergewöhnliches geschah. Dennoch wachte Towrow, der sich angewöhnt hatte, nie zu lange am Stück zu schlafen, mehrere Male kurz auf und sank dann jedes Mal wieder in tiefen Schlummer. Gegen Mittag fühlte er sich ausgeruht und ging in die Messe, wo er eine Mahlzeit aus Brot und Käse zu sich nahm.
Dank seines kürzlich erworbenen Wohlstands war auch etwas Wurst dabei. Am Herd stand eine stämmige Frau. Ein grimmig blickender Kosak half ihr, die dampfenden Töpfe zu den Passagierunterkünften zu tragen. Nach seiner Mahlzeit übernahm Towrow das Ruder, damit der Erste Offizier eine Mittagspause einlegen konnte. Im Verlauf des Tages fiel das Fischerboot immer weiter zurück und wurde schließlich zu einem beliebigen kleinen Punkt am Horizont.
Die
Star
wirkte um Jahre jünger, während sie über die funkelnde Oberfläche des sonnenbeschienenen Meeres glitt. Um Konstantinopel so schnell wie möglich zu erreichen, ließ Towrow das Schiff fast mit voller Kraft laufen. Letztlich musste er den Preis für dieses Wagnis bezahlen, denn am frühen Abend fiel eine der Maschinen aus. Obwohl der Erste Offizier und der Maschinist stundenlang an dem defekten Antrieb herumbastelten, erreichten sie gar nichts – außer sich mit Öl zu beschmieren. Der Kapitän sah ein, dass weitere Anstrengungen vergeblich sein würden, und befahl, mit nur einer Maschine weiterzufahren.
Der Major erwartete ihn bereits auf der Brücke und brüllte wie ein verwundeter Stier, als Towrow ihm das Problem erläuterte. Sie würden natürlich trotzdem ihren Zielhafen erreichen, sagte der Kapitän. Es könnte lediglich ein wenig länger dauern. Ungefähr einen zusätzlichen Tag.
Jakelew hob die Fäuste und starrte den Kapitän hasserfüllt an.
Towrow fürchtete, zu Brei geschlagen zu werden, aber der Major machte jählings auf dem Absatz kehrt und stürmte hinaus.
Der Kapitän atmete erleichtert auf und widmete sich wieder seinen Seekarten. Das Schiff fuhr mit halber Kraft, aber wenigstens fuhr es überhaupt. Er warf einen Blick auf die Ikone des heiligen Basilius, die an der Wand hing, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die zweite Maschine halten würde.
Als Jakelew zurückkehrte, hatte er sich etwas beruhigt.
Towrow fragte ihn, wie es den Passagieren ginge. Gut, erwiderte der Major, aber es ginge ihnen noch wesentlich besser, wenn dieser stinkende Rostkahn, auf dem sie reisten, endlich an seinem Bestimmungsort einträfe. Später zog wieder Nebel auf, und der Kapitän musste die Geschwindigkeit um einige Knoten drosseln. Er hoffte, Jakelew läge schon im Bett und würde es nicht bemerken.
Wie so viele Männer, die ihr Leben auf dem Wasser zubrachten, war auch Towrow stets von einer gewissen nervösen Unruhe befallen, die ihn Dutzende Male pro Stunde den Horizont absuchen, den Kompass überprüfen und das Barometer kontrollieren ließ. Zudem trat er häufig nach backbord und steuerbord hinaus, um sich einen Eindruck von den
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