1187 - Wächterin am Höllentor
Die Schwester wartete einen Moment mit einer Antwort. Sie schaute den Mann an, und plötzlich war ihr klar, dass es besser war, wenn sie im Kloster weitersprachen. Denn Probleme, die es auf dem Friedhof gab, würden sich auf das Kloster beziehen und dafür war sie als Oberin zuständig.
»Kommen Sie mit, Mr. Ambrose.«
»Danke.«
Beide wandten sich vom Tor ab und gingen durch den Innenhof. Sam Ambrose überragte die Frau um Kopfeslänge. Trotzdem hätte ein Zuschauer den Eindruck haben können, dass es Schwester Josepha war, die hier das Sagen hatte. Die kleine Frau strahlte eine Autorität aus, die man ihr auch ansah. Sie brauchte gewisse Dinge nicht besonders zu betonen. Da genügte ein Blick, und ihr Gegenüber wusste, was Sache war.
Auch der Innenhof hatte sich dem jahreszeitlichen Bild nicht entziehen können. Die ersten Stürme hatten die Bäume entlaubt. Die Blätter bildeten eine feuchte, bunte Schicht auf dem Boden. Das alte Pflaster war an manchen Stellen kaum zu sehen, und auch die Mauern des Klosters wirkten dunkler als sonst. Der Herbst brachte wenig Fröhlichkeit. Es war die Zeit der Besinnung, des über sich selbst Nachdenkens. Davon wurden auch die Nonnen im Kloster nicht verschont.
Sam Ambrose war kein Mensch, der viel auf Ahnungen und Stimmungen gab, er gehörte zu den Leuten, die anpackten und froh waren, wenn sie eine Arbeit hinter sich brachten. In diesem Fall jedoch dachte er anders darüber. Er fühlte sich nicht wohl. Es konnte an der leicht düsteren Umgebung liegen und natürlich auch an dem Friedhof außerhalb, der entsorgt werden musste, weil es dort bauliche Veränderungen geben sollte, aber auch an der Stimmung, den Mauern des Klosters und den Nonnen, die es verstanden, sich fast lautlos zu bewegen. Man sah sie kaum, aber sie waren immer irgendwie präsent.
Die beiden betraten das Kloster durch den Haupteingang. Schwester Josepha hatte auch keine Fragen mehr gestellt. Sie wusste, wann es besser war, wenn jemand in Ruhe gelassen werden musste.
Auch im Kloster fühlte Ambrose sich nicht wohl. Die kahlen Gänge, die dunklen Farben. Graues Mauerwerk und ein Licht, das nie einen warmen Schein verbreitete, sondern in der Umgebung immer kalt wirkte.
Sie betraten direkt das Büro der Oberin. Hier fühlte sich Ambrose wohler. Der Raum war kleiner, und ein alter Kanonenofen gab eine gewisse Gemütlichkeit ab und auch die Erinnerungen an vergangene Zeiten, als das Leben angeblich noch besser gewesen war, was Ambrose allerdings nicht glaubte.
Nachdem ihm die Oberin einen Platz angeboten hatte, ließ er sich auf einem Stuhl nieder. Die Nonne setzte sich ihm gegenüber. Zwischen ihnen stand ein Tisch, der schon gedeckt war. Man fand dort immer zwei Tassen für den Kaffee. Dafür sorgte eine Novizin. Sie war auch dafür verantwortlich, dass sich in der Thermoskanne stets frischer Kaffee befand. Wie auch jetzt.
»Sie trinken doch eine Tasse mit, Mr. Ambrose - oder?«
»Gern, ja.«
»Das wusste ich.«
Die Oberin schenkte ein. Ambrose schaute zu, wie das braune Getränk in seine Tasse rann. Er stellte fest, dass er auf dem Stuhl saß wie ein Schuljunge vor seiner Lehrerin. Irgendwo hatte er auch Respekt vor dieser Frau, deren Mund noch immer das Lächeln zeigte. Sie lächelte eigentlich immer, und Ambrose wusste nicht, ob es nun ehrlich gemeint war oder nicht.
»Eine Leidenschaft muss der Mensch ja haben«, sagte die Oberin. »Und die meine ist der Kaffee.«
»Er tut auch gut.«
»Stimmt.«
Sie schaute ihn direkt an. Die Oberin war eine Frau, die alterslos wirkte. Sie konnte 50 aber auch und mehr Jahre zählen, es war ihr einfach nicht anzusehen. Die Gesichtshaut war glatt. Da gab es so gut wie keine Falten, und Ambrose glaubte auch nicht, dass die Oberin sich auf einer Schönheitsfarm hatte behandeln lassen. Wer so gut aussah, der besaß manchmal auch ein perfektes Innenleben und schaute optimistisch in die Zukunft.
Ambrose ärgerte sich, dass seine Schuhe auf dem Boden Schmutzstellen hinterlassen hatten. Überhaupt sah er in seiner Arbeitskleidung nicht eben fein aus, doch das ließ sich nicht ändern, wenn man auf einem Friedhof Gräber aushob.
Nachdem beide getrunken hatten, kam die Oberin endlich zur Sache. Sie nickte dem Mann zu und sagte: »So, jetzt möchte ich von Ihnen wissen, wo Sie der Schuh drückt.«
Sam stellte seine Tasse ab. Er hätte der Oberin gern in die Augen geschaut. Irgendwie war das nicht möglich, und so blickte, er in seine Tasse hinein.
»Es geht um den
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