Flederzeit - Sturz in die Vergangenheit (Historischer Roman): 1 (German Edition)
gleich.“ Matthias, dessen Blick zum Fenster geschweift war, wandte sich ihm wieder zu. „Kannst du dich um die Post kümmern?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er die Wohnungsschlüssel auf den Tisch.
„Gut“, Wolfgang nahm sie an sich und stand auf. „Dann schau ich jeden Tag nach der Praxis mal in deiner Wohnung vorbei.“
Er öffnete eine Kommodentür, suchte eine Weile darin herum und brachte dann ein ganzes Sammelsurium kleiner Schachteln an den Tisch. „Hier. Für alle Fälle.“
Matthias starrte auf die oberste Packung, schob sie zur Seite, betrachtete die nächste – und die nächste. „Drei Packungen Antibiotika?“
„Vier. Man kann schließlich nie wissen, oder?“ Wolfgang grinste. “Außerdem noch verschiedene Schmerz-, Fieber- und Durchfallmittel, Entzündungshemmer und Antiallergika. Was man halt so braucht, wenn man nicht weiß, was kommt.“
„Mir scheint, du rechnest damit, dass ich zumindest - länger dort oben bleibe.“
Wolfgangs Andeutung war nicht aus der Luft gegriffen. Er selbst hatte auch schon darüber nachgedacht. Warum ging er nicht in seine Hütte und blieb dort? Als Einsiedler oder Bergbauer oder was auch immer. Schließlich gab es nichts mehr, was ihn hier in München hielt.
Nichts, bis auf Elias. Lida war mit Iven aufs Land gezogen. Wenn er jetzt auch noch wegginge, Elias wäre völlig alleine da auf dem Friedhof, in seinem Grab voller Blumen und Spielsachen. Die immer wieder weggeklaut wurden. Irgendjemand musste doch darüber wachen.
„Vergiss es“, fauchte er, schob die Tüte energisch von sich. „Ein paar Tage nur, dann bin ich sowieso wieder zurück.“
Er ging auf die Türe zu, öffnete sie.
„Matthias?“
„Was?“ Er drehte sich nicht um.
„Den Namen Ludmilla mag sie nicht. Nenn sie Mila!“
Da lächelte er.
Angriff der Flederflügel
„ M attis?“
Lida lächelt ihn an. Wie kann sie lächeln, wenn doch er ... Hat sie ihm vergeben? Kann ein Mensch so großmütig sein? Matthias kann nicht schlucken und noch weniger sprechen. Seine Schuld liegt quer in seinem Hals. Er muss sie endlich herausbringen, sonst erstickt er daran. Er räuspert sich, nimmt Anlauf – und krächzt: „Kannst du mir verzeihen?“
Noch ehe Lidas freundliches Gesicht fragend werden kann, taucht plötzlich Elias hinter ihr auf. Quicklebendig, gesund. Ist er nicht ...?
Matthias fuhr aus dem Schlaf hoch. Um ihn herum war plötzlich nur noch Dunkelheit. Keine Lida, kein Elias. Er war nicht mehr dort, wo er soeben noch gewesen war. Wo?
Schon im nächsten Moment war sein Kopf wieder klar. Dies hier war seine Hütte, er war oben auf dem Berg, hatte nur geträumt. Alles war in Ordnung. Im Prinzip. Er konnte sich also beruhigen und wieder einschlafen.
Die Arme hinterm Kopf verschränkt, legte er sich zurück und stierte in die Finsternis. Hier war es stockdunkel. Probeweise hob er eine Hand vor die Augen. Wenn er sie nicht zwischen sich und den schalen Graufleck des Fensters schob, war sie nicht zu erkennen. Keine Straßenlampe hier, kein künstliches Licht, überhaupt kein Licht. Und dazu diese Stille, das Fehlen beständiger Geräusche, wie sie Stadtmenschen gewöhnt waren.
Hier oben war es noch genauso wie im Mittelalter. Wie hatte er das vermisst. Er hätte schon vor Langem hier heraufkommen sollen. Nicht nur, um endlich heilen zu können, sondern auch, um dem Zahn der Zeit Einhalt zu gebieten, der während der Jahre seiner Abwesenheit heftig an der Hütte genagt hatte. Nur auf den ersten Blick hatte sie unversehrt gewirkt, lediglich recht heruntergekommen. Als Matthias jedoch das Dach näher in Augenschein genommen hatte, war klar geworden, dass hier nicht nur die Aufarbeitung seiner Vergangenheit auf ihn wartete.
In den nächsten Tagen war er deshalb auch vollauf damit beschäftigt gewesen, mit Säge und Holz, Dachpappe und Teer zu hantieren. Wie hatte er den von der Gartnerwand zurückgeworfenen Hall der Hammerschläge genossen, den Schweiß, der ihm in der heißen Mittagssonne in Strömen über Gesicht und Rücken gelaufen war, seine durstigen Märsche zur Quelle und, schlussendlich, seine abendlichen Waschungen mit eiskaltem Wasser.
Nichts und niemanden hatte er dabei vermisst. Wenn er am Ende eines Tages bleischwer vor Müdigkeit ins Bett gesunken war, war sein sonst so überfüllter Kopf vollständig leer gewesen und er schnell eingeschlafen.
Spätestens jeden vierten Morgen hatte er sich auf den Weg den Berg hinab nach Bichlbächle gemacht, um mit
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