Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Prolog
U nauffällig mustere ich meine Schwiegermutter von der Seite. Da sitzt diese Irre, mit zusammengekniffenen Lippen, der Lidstrich noch verschmierter als üblich, ihr falsches Haarteil hat sich von den Klemmen am Hinterkopf befreit, wirr schlängeln sich die blonden Strähnen um ihr kantiges Gesicht. Sie sieht aus wie eine Comicfigur, die einen Stromschlag bekommen hat. Hat sie nicht. Sie ist einfach, wie sie immer ist. So verrückt wie ein tollwütiges Frettchen.
»Darya, meine Liebe«, flüstere ich und versuche, einen Hauch Sanftmut in meine Stimme zu legen, »Darya, ich bitte dich, wenn die Polizeibeamten gleich zurückkommen, lass mich reden. Ich regle das schon, ja? Lass mich einfach machen, okay?«
Sie kneift die Lippen noch fester zusammen.
»Herrgott, ich bitte dich doch nur, ein einziges Mal die Klappe zu halten. Das kann doch nicht so schwer sein!«
Ohne mich eines Blickes zu würdigen, öffnet sie ihre Handtasche, entnimmt ein goldenes Döschen und beginnt, ihre Nase zu pudern. Das ist kein gutes Zeichen.
»Darya, Dascha«, flehe ich zuckersüß, »bitte, ich mach das schon. Ich hole uns hier raus. Dascha, bitte!« Betteln hilft manchmal, Erniedrigen hilft immer.
Sie nickt würdevoll. »Charascho.«
Ich habe keine Ahnung, ob sie mich verstanden hat. Meine Schwiegermutter spricht kein Deutsch. Sie lebt seit achtzehn Jahren in meinem Land. Aber sie spricht kein Deutsch. Manchmal sagt sie zum Abschied »Tschüssi« oder »Bis gleich«, wenn wir uns erst in zehn Tagen wiedersehen. Sie kennt ein paar Phrasen, Redewendungen, Satzfetzen, ansonsten verweigert sie sich meiner Sprache. Doch wenn ich mich mit ihrem Sohn unterhalte, sehe ich am Blitzen ihrer Augen, dass sie mehr versteht, als sie zugibt.
Auch ihren Wortschatz muss sie heimlich um wesentliche Vokabeln erweitert haben. »Dreckschwein, Nazi«, brüllte sie noch vor zwei Stunden völlig akzentfrei, als sie mit ihrem Gucci-Täschchen auf die Polizisten eindrosch, die uns in der Nacht auf dem Ohlsdorfer Friedhof stellten.
»Entschuldigung, die Dame weiß nicht, was Sie von ihr wollen, sie ist nicht von hier«, wandte ich zaghaft ein, während ich dezent versuchte, die Leiche des achtzig Kilogramm schweren Neufundländers zu meinen Füßen beiseitezuschieben.
Im Gegensatz zu Darya bin ich von eher mickriger Statur, geschönte einhundertdreiundsechzig Zentimeter groß, dreiundfünfzig Kilo leicht. Weiß Gott, wie wir es überhaupt geschafft haben, diesen stinkenden Köter bis hierherzuschleifen. Er roch schon nicht gut, als er noch lebte. In jenem Zustand allerdings war er unerträglich.
Ich war sofort dafür gewesen, Wassilij, auch liebevoll Wassja genannt, nach dem Einschläfern beim Tierarzt zu lassen. Und ich wusste sofort, dass mein Vorschlag inakzeptabel war. Also wanderte das tote Trumm in die Billstedter Datscha, lagerte unter einer schwarzen Plane im aprilfeuchten Schrebergarten meiner Schwiegereltern und weste vor sich hin, während wir uns in endlose Diskussionen verstrickten.
Im Garten begraben? Nein, dann sind die Johannisbeeren, die Gurken, die Tomaten ungenießbar, weil das Erdreich verseucht wird. Eine durchaus interessante Theorie, der ich nicht zu widersprechen wagte.
Auf freiem Feld verscharren? Zu würdelos.
Pietätvoll auf einem Tierfriedhof beisetzen? Eine kurze Recherche ergab, dass diese Zeremonie mit weit über tausend Euro zu Buche schlagen würde – inklusive Sarg aus Kirschbaum und individuell gestaltetem Marmorgrabstein, exklusive einer jährlichen Pacht der Grabstätte in Höhe von circa zweihundertfünfzig Euro. Von den Kosten der Grabpflege ganz zu schweigen, denn wer hat schon die Zeit, jeden Tag von Billstedt ins Hamburger Umland zu fahren, um Laub zu harken oder vertrocknete Blüten abzuknipsen? Aber was sollte Wassja auch auf einem Tierfriedhof? Er war schließlich ein vollwertiges Mitglied der Familie.
Rostislav, mein Schwiegervater, enthielt sich elegant einer Entscheidung, indem er den Kopf hin- und herwiegte, unverständlich vor sich hin brummelte und von Zeit zu Zeit spontan in Tränen ausbrach. Immerhin war ein naher Verwandter gestorben.
Artjom, mein Mann, war, wo er immer war, wenn man ihn brauchte: nicht da. Unabkömmlich, beruflich unterwegs, weit weg, in einer anderen Stadt. Schatz, das verstehst du doch, du machst das schon, ich verlass mich auf dich.
Darya kam das nicht ungelegen. So konnte sie ungestört überlegen, was mit Wassja werden sollte. Sie kommt aus Moskau, eigentlich aus
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