Flöte und Schwert
seinem Kopf, Hornklauen schlugen nach seinen Augen. Dunaris packte die Fangarme und zerriss sie, als wären sie dünne Bindfäden. Schwarzes Blut ergoss sich über seine Kleidung. Das Ch'rii zischte und wollte fliehen, er packte die verbliebenen Tentakel und schmetterte den wulstigen Leib des Untiers so oft gegen die Wand, bis der Schnabel aufhörte zu klappern und das Zischen verstummte. Achtlos schritt er über den zuckenden Kadaver hinweg, schlüpfte in den Gang, sprang über die Grube. Schnabel und Klauen des Ch'rii hatten ihn an einem Dutzend Stellen verletzt, doch die Wunden schlossen sich bereits. Die fremde Lebensenergie fügte zerstörte Muskeln und Haut zusammen und heilte ihren Wirtskörper.
Er war unbesiegbar, unverwundbar. Und doch brachte ihn der Schmerz schier um den Verstand.
Er brauchte keine Fackel – er konnte nun im Dunkeln sehen. So dauerte es nicht lange, bis er die Grotte mit der Felsspalte wiederfand. Sie war gerade breit genug für ihn. Ächzend zwängte er sich hindurch und kniff die Augen zusammen, denn das Sonnenlicht tat ihm weh. Das Wesen in seinem Innern war eine Kreatur der Nacht.
Er stand auf einer Geröllpiste zwischen scharfkantigen Felsen. Am Fuß des Abhanges standen zwei Suulkrieger. „Shegeth-Shemai! Shegeth-Shemai!“, riefen sie, als sie ihn erblickten.
Mehr rutschend als gehend stieg Dunaris die Piste hinab. Er sah wieder Albor vor sich, als er die Rufe der Männer vernahm, und die fremdartige Präsenz in seinem Innern vervielfachte seine Wut wie ein Prisma einen Sonnenstrahl. Bevor die Krieger begriffen, wie ihnen geschah, entriss er einem den Speer und durchbohrte ihn mit der Waffe. Als der andere fliehen wollte, packte Dunaris ihn von hinten und schleuderte ihn mit übermenschlicher Kraft gegen die Felszacken oberhalb der Geröllhalde, wo der Suul mit zerschmetterten Gliedern liegen blieb.
Blutroter Dunst überschwemmte seine Gedanken, löschte all seine Gefühle aus. Nur das Verlangen nach Rache blieb. Er war der fleischgewordene Hass.
Was danach geschah, glich einem Traum – einem Nachtmahr von Gewalt und Tod. Er sah schmerzverzerrte Gesichter, schreckgeweitete Augen, spritzendes Blut, hörte Schreie und das Brechen von Knochen, und das Wesen in seinem Innern lachte. Er hatte eine Axt aus Obsidian an sich gebracht, er spaltete Schädel, zerfetzte Körper, schlug Arme ab, er wollte aufhören, wollte davonlaufen, doch der Hass war stärker.
Als er wieder zu sich kam, kniete er auf dem Boden des Kuppelsaals. Alles war still. Seine Hände, sein Wams, sein Gesicht waren blutverschmiert. Um ihn herum, wie kaputte Gliederpuppen, lagen die Leichen der Suul. Er hatte sie alle erschlagen, den Schamanen, seine Krieger, sämtliche Männer des Bergstammes.
Das Wesen war satt. Zufrieden rollte es sich in seinem Geist zusammen wie eine Python, die ein Beutetier verdaute.
Dunaris betrachtete die Axt, warf sie in den Staub. Übelkeit stieg in ihm auf, jäh und würgend, er krümmte sich zusammen und erbrach sich mehrfach, bis nur noch Galle kam.
Ich bin ein Monster. Ein Monster.
Später konnte er sich nicht mehr erinnern, wie er den Tempel verlassen hatte. Die Sonne ging gerade unter, als er vor dem offenen Portal stand, ihre Glut entflammte den Himmel über den Berggipfeln im Westen. Zwischen den Felsen schwelte ein Haufen verkohlter Holzstücke, und Rauch zerfaserte im Wind. Albor. Die Suul hatten seine Leiche verbrannt.
Das Wesen schlief – aber wie lange? Irgendwann würde es aufwachen, abermals seinen Körper übernehmen und mit seinen Händen neue Bluttaten begehen. Sein Geist war nicht stark genug, es ewig im Zaum zu halten. Er musste nach Drokal gehen und einen Bannmeister finden, der ihn von der Wesenheit befreite, in der Hoffnung, dass das Geschöpf nicht gerade dann erwachte, wenn er durch die belebten Gassen der Metropole schritt.
Der Seelenkristall. Er würde ihn brauchen, und sei es nur, um den Zauberkundigen zu bezahlen. Dunaris blickte durch das Portal, und der Gestank geöffneter Körper wehte ihm entgegen.
Nein. Er war nicht imstande, dieses Schlachtfeld noch einmal zu betreten. Niemals wieder würde er einen Fuß in diesen Tempel setzen.
Mit unsicheren Schritten stapfte er den Pfad entlang, ging an den Felsen und Geröllhaufen vorbei, während der Wind sein Haar zerzauste und das Blut auf seiner Haut trocknete. Er stieg die Treppe hinab, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Leise und höhnisch flüsterte die Wesenheit in seinen Gedanken.
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