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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dunklen Sees trieb. Doch mußte es nach außen hin ganz passabel gewirkt haben, denn sie reagierte mit einem probeweisen, zitternden Lächeln. Ihre Augen füllten sich schon wieder mit Tränen.
    Oh, na ja, du hast schon immer sehr nahe am Wasser gebaut, Heidi, dachte er grob.
    Sie kam die Treppe herunter. Billy stellte die Tasche ab und ging ihr entgegen. Das tote Lächeln blieb auf seinem Gesicht.
    »Was gibt es zum Abendessen?« fragte er. »Ich bin am Verhungern.«
    Sie hatte ihm eine gigantische Mahlzeit zubereitet – Steak, Salat, eine gebackene Kartoffel, die annähernd so groß wie ein Torpedo war, frische grüne Bohnen und zum Nachtisch Heidelbeeren mit Schlagsahne. Billy aß alles auf. Obwohl sie nicht damit herausrückte, obwohl sie ihm nichts sagte, spürte er doch an jeder ihrer Gesten, in jedem Blick, den sie ihm zuwarf, ihre große Bitte. Gib mir eine zweite Chance, Billy –  bitte, bitte, gib mir eine zweite Chance. In gewisser Weise fand er das ausgesprochen komisch, auf eine Weise, die dem alten Zigeuner wahrscheinlich gefallen hätte. Sie war von rigoroser Ablehnung aller Schuld um hundertachtzig Grad umgeschwenkt. Im Augenblick war sie bereit, alles zu akzeptieren.
    Ganz allmählich, als Mitternacht näherrückte, spürte er etwas Neues in ihren Gesten: Erleichterung. Sie hatte nun das Gefühl, daß er ihr vergeben hätte. Das kam ihm gerade recht. Denn eine Heidi, die sich in der Sicherheit wiegte, daß er ihr vergeben hätte, war genau das, worauf es ihm jetzt ankam.
    Sie saß ihm gegenüber, schaute ihm beim Essen zu und rauchte eine Vantage 100 nach der anderen, während er er-zählte. Er berichtete von seiner Suche nach den Zigeunern, wie er ihnen die Küste hinauf gefolgt war, wie er die Fotos und Informationen von Kirk Penschley erhalten hatte, wie er sie dann schließlich in Bar Harbor aufgespürt hatte.
     
    Und an dieser Stelle trennten Billy Halleck und die Wahrheit sich.
    Die dramatische Konfrontation, die er zugleich erhofft und gefürchtet hätte, sei ausgeblieben, erzählte er Heidi. Es wäre überhaupt nicht so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hätte. Zunächst mal hätte der Alte ihn ausgelacht. Alle hätten ihn ausgelacht. »Wenn ich dich wirklich verfluchen könnte, dann lägest du schon längst unter der Erde«, hätte der alte Zigeuner ihn verspottet. »Ihr glaubt immer, daß wir zaubern können - alle weißen Leute aus der Stadt glauben, wir wären der Magie mächtig. Wenn das wahr wäre, würden wir dann in alten, verrosteten Karren und Lastwagen, bei denen die Auspüffe mit Draht festgebunden sind, über die Landstraßen ziehen? Wenn wir wirklich zaubern könnten, würden wir die Nächte dann in Heufeldern verbringen? Dies ist keine Zauberei, weißer Mann aus der Stadt, dies ist ein ganz normaler, herumziehender Jahrmarkt. Wir machen unsere Geschäfte mit weißen Trotteln, denen das Geld zu locker in der Tasche sitzt. Danach ziehen wir weiter. Sieh zu, daß du von hier wegkommst, sonst hetze ich ein paar von diesen Männern auf dich, und die kennen einen Fluch!
    Es ist der Fluch der Bleifäuste.«
    »Hat er dich wirklich so genannt? Weißer Mann aus der Stadt?«
    Er lächelte. »Ja, so hat er mich genannt.«
    Er sei also in sein Motelzimmer zurückgefahren, erzählte er Heidi weiter, und hätte zwei Tage und zwei Nächte nichts weiter getan als rumzuliegen. Er sei viel zu deprimiert gewesen, um etwas anderes tun zu können, außer ein bißchen zu essen. Am dritten Tag - vor drei Tagen also - sei er auf die Waage gestiegen und hätte plötzlich überrascht festgestellt, daß er trotz des geringen Essens drei Pfund zugenommen hätte.
    »Doch als ich genauer darüber nachdachte, fand ich es nicht seltsamer, als damals herauszufinden, daß ich schon wieder drei Pfund abgenommen hatte, obwohl ich alles, was auf dem Tisch stand, verputzt hatte«, sagte er. »Und dieser Gedanke hat mich schließlich aus dem psychischen Chaos herausgerissen, in dem ich mich die ganze Zeit befunden hatte. Ich bin noch einen Tag im Motel geblieben und habe so intensiv nachgedacht wie noch nie in meinem Leben. Ganz allmählich bin ich mir darüber klar geworden, daß die drei Ärzte von der Glassman-Klinik doch nicht so ganz unrecht hatten. Und auch Michael Houston konnte zumindest teilweise recht haben, wenn ich ihn auch nicht aus-stehen kann, diesen Stinkstiefel!«
    »Billy ...« Sie faßte ihn am Arm.
    »Vergiß es«, sagte er. »Ich werde ihn nicht zusammenschlagen, wenn ich ihn

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