Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
einmal vor dem Zubettgehen die Runde durchs Haus machte, alle Lichter ausschaltete, die Thermostate herunterdrehte und nachsah, ob die Lichter der Alarmanlage neben den Türen brannten - eben all die Rituale der weißen Menschen aus der Stadt.
    Er lag im Bett und lauschte auf das Knarren des Bodenbretts ... und dann saß er an seinem Schreibtisch in seinem neuen Haus in Big Jubilee, Arizona, der Stadt, in der er seit sechs Jahren als Anwalt praktizierte.
    Es war ganz einfach. Er lebte dort mit seiner Tochter und arbeitete gerade genug in diesem bescheuerten Geschäft, das er insgeheim ›Gemeinderechtsscheiße‹ nannte, um das Essen auf den Tisch zu kriegen. Seine übrige Zeit widmete er öffentlichen Hilfsorganisationen. Sie führten ein einfaches Leben. Die alten Zeiten – zwei Wagen in der Garage, dreimal wöchentlich der Besuch des Gärtners, über fünfundzwanzigtausend Dollar Grundstückssteuer im Jahr – waren endgültig vorbei. Er vermißte all das nicht, und er glaubte, Linda ebenfalls nicht. Er arbeitete in der Stadt, manchmal auch in Yuma oder Phoenix – allerdings selten genug –, und sie wohnten weit genug vom Zentrum entfernt, um das Land um sie herum zu genießen. Linda würde ab nächsten Jahres aufs College gehen, und er würde dann vielleicht doch in die Stadt ziehen – aber nur, wenn die Leere des Hauses ihm auf die Nerven ginge, und er glaubte kaum, daß das der Fall sein würde.
    Sie hatten sich ein schönes Leben gemacht, und das war gut so. Denn darauf kam es ja schließlich an: Sich und seinen Lieben ein schönes Leben zu machen.
    Es klopfte an der Bürotür. Er schob den Schreibtischstuhl zurück, wandte sich um und sah Linda. Linda hatte keine Nase mehr. Das heißt, die Nase war nicht fort, sie hielt sie in der Hand.
    Blut floß aus dem dunklen Loch in der Mitte ihres Gesichts.
    »Ich verstehe das nicht, Daddy«, sagte sie mit der nasalen, dröhnenden Stimme eines Nebelhorns. »Sie ist mir einfach abgefallen.«
    Er wachte mit einem Ruck auf und schlug wild mit den Armen um sich, als könne er dadurch die Vision verjagen. Heidi stöhnte neben ihm im Schlaf. Sie lag auf ihrer linken Seite und hatte die Decke bis über die Ohren gezogen. Er sah auf die Digitaluhr, die Heidi auf ihrem Spiegeltisch am anderen Ende des Zimmers stehen hatte. Es war fünf nach halb sieben.
    Billy stieg aus dem Bett, ging durchs Zimmer, nahm seinen Bademantel vom Haken und lief den Flur hinunter ins Badezimmer. Er drehte die Dusche an und wollte den Mantel gerade an die Tür hängen, als er bemerkte, daß Heidi sich offenbar auch einen neuen Bademantel gekauft hatte. Aha.
    Ein neuer Haarschnitt, eine neue Bluse und ein neuer Morgenrock.
    Ein hübsches Blau.
    Er stieg auf die Waage und stellte fest, daß er weiter zugenommen hatte. Danach ging er unter die Dusche und wusch sich mit einer Gründlichkeit, die schon zwanghaft zu nennen war. Er seifte jede Stelle an seinem Körper ein, spülte sich ab und fing noch mal von vorne an. Ab jetzt werde ich auf mein Gewicht achten, versprach er sich. Wenn sie erst mal weg ist, werde ich auf mein Gewicht aufpassen. Ich will nie wieder so fett werden, wie ich es war.
    Er trocknete sich ab, zog sich seinen Bademantel wieder über und ertappte sich dabei, daß er vor der geschlossenen Tür stand und Heidis neuen Morgenmantel anstarrte. Er griff in eine Falte und rieb den Nylonstoff zwischen den Fingern. Er war weich und glatt. Der Mantel sah zwar neu aus, aber irgendwie kam er ihm bekannt vor.
    Stimmt. Sie hatte schon mal einen Mantel, der so ähnlich war, dachte er. Sie hat sich einen Mantel gekauft, der sie an früher erinnert. Die menschliche Kreativität geht eben nicht sehr weit, Kumpel – irgendwann fangen wir alle an, uns zu wiederholen.
    Letztendlkh handeln wir alle zwanghaft.
    Houstons Stimme meldete sich: Es sind die Leute, welche keine Angst haben, die jung sterben.
    Heidis Stimme: Um Himmels willen, Billy, sieh mich nkht so an! Das kann ich nicht ertragen!
    Leda Rossington: Er sieht jetzt wie ein Alligator aus – wie etwas, das gerade aus dem Schlamm gekrochen ist und menschliche Kleidung angezogen hat.
    Hopley: Du treibst dich in der Gegend rum und denkst dir, dieses eine Mal, vielleicht wird es dieses eine Mal wenigstens ein bißchen Gerechtigkeit geben ... einen winzigen Augenblick Gerechtigkeit, der ein ganzes Leben voller Scheiße wiedergutmachen soll.
    Während er den blauen Nylonstoff befühlte, schlich plötzlich ein fürchterlicher Gedanke durch seinen

Weitere Kostenlose Bücher