Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
es doch noch veröffentlicht wird. Es wird sie irgendwie lebendig erhalten, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ich weiß genau, was Sie meinen.« Ich atmete tief durch. »Mark sieht zu, was er machen kann. Ich glaube, dass dazu neue Arrangements vonnöten sind. Sparacino wird Beryls Geschäfte bestimmt nicht mehr abwickeln.«
»Höchstens, wenn er es vom Gefängnis aus tun kann. Ich vermute, dass Mark Ihnen von dem Brief erzählt hat.«
»Ja«, sagte ich. »Das hat er.«
Einer der Geschäftsbriefe von Sparacino an Beryl, die Marino kurz nach ihrem Tod in ihrem Haus fand, hatte für Mark eine ganz andere Bedeutung bekommen, seit er ihr Manuskript kannte:
Wie interessant, Beryl, dass Joe Cary aus der Patsche geholfen hat. Es freut mich nun umso mehr, dass ich es war, der die beiden zusammenbrachte, als Cary dieses wunderbare Haus kaufen wollte. Nein, ich finde es überhaupt nicht merkwürdig. Joe war einer der großzügigsten Menschen, die zu kennen ich jemals die Ehre hatte. Ich freue mich darauf, mehr von der ganzen Sache zu erfahren ...
Dieser simple Absatz deutete eine Menge an, obwohl es unwahrscheinlich war, dass Beryl es bemerkt hatte. Ich bezweifelte stark, dass Beryl irgendeine Ahnung davon hatte, dass sie, als sie Joseph McTigue erwähnte, Sparacinos höchstpersönlichen illegalen Geschäften gefährlich nahe gekommen war, in die auch einige Scheinfirmen verwickelt waren, die der Anwalt gegründet hatte, um seine Geldwäsche zu vereinfachen. Mark glaubte, dass McTigue, mit seinem riesigen Besitz und seinen zahlreichen Beteiligungen an Immobilien, in Sparacinos illegale Machenschaften eingeweiht gewesen sein musste, und dass die Hilfe, die McTigue dem verzweifelten Cary Harper angeboten hatte, alles andere als legal gewesen sei. Weil Sparacino Beryls Manuskript nie gesehen hatte, litt er schreckliche Angst, dass sie vielleicht ungewollt etwas enthüllt haben könnte. Als das Manuskript verschwand, war seine Motivation, es in die Hände zu bekommen, viel mehr als reine Geldgier gewesen.
»Vielleicht hat Sparacino gemeint, es sei ein Glückstag für ihn, als Beryl tot aufgefunden wurde«, sagte Marino. »Sie konnte ihm nicht mehr ins Handwerk pfuschen, wenn er an ihrem Manuskript herummanipulierte und alle Seiten aus ihm entfernte, die einen Hinweis darauf enthielten, was er wirklich tat. Und dannwollte er das verdammte Ding auch noch verkaufen und ein Vermögen damit verdienen. Wen würde das Buch nicht interessieren, nach all der Publicity, die er dafür gemacht hatte? Niemand kann sagen, was da noch alles auf uns zugekommen wäre – vermutlich wären sogar die Bilder der toten Harpers in irgendeinem Revolverblatt veröffentlicht worden ...«
»Sparacino hat die Fotos, die Jeb Price aufnahm, nie bekommen«, erinnerte ich ihn. »Gott sei Dank.«
»Nun, wie dem auch sei. Wichtig ist doch nur, dass nach dem ganzen Zirkus sogar ich losgelaufen wäre, um mir das verdammte Ding zu besorgen, und ich wette, dass ich schon seit zwanzig Jahren kein Buch mehr gekauft habe.«
»Wie schade«, murmelte ich. »Lesen ist doch wundervoll. Sie sollten es bei Gelegenheit einmal probieren.«
Wir schauten beide auf, als Rose wieder hereinkam und diesmal eine lange weiße Schachtel mit einer phantastischen roten Schleife brachte. Verwirrt suchte sie nach einem freien Fleck auf meinem Schreibtisch, um sie abzustellen, bis sie schließlich aufgab und mir die Schachtel direkt in die Hände legte.
»Was um alles in der Welt ...«, murmelte ich und konnte mir überhaupt nicht vorstellen, worum es sich handelte. Ich schob den Stuhl zurück, legte das unerwartete Geschenk auf meinen Schoß und löste unter den gespannten Blicken von Rose und Marino die Seidenschleife. In der Schachtel lagen zwei Dutzend wunderschöne, langstielige Rosen, die auf ihrem Bett aus grünem Seidenpapier wie rote Juwelen schimmerten. Ich beugte mich hinunter, schloss die Augen und erfreute mich an ihrem Duft, bevor ich den kleinen Umschlag öffnete, der zwischen ihnen steckte.
»Lass dich nicht hängen – häng dich lieber an den Skilift! Und zwar nach Weihnachten in Aspen. Nimm dir frei und komm mit!«, stand auf der Karte. »Ich liebe dich. Mark.«
Kay Scarpetta
Patricia Cornwells Kay-Scarpetta-Reihe hat der Kriminalliteratur in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine neue Richtung gegeben. Mit Post Mortem erschien 1990 zum ersten Mal ein Roman, der die Tür zur Gerichtsmedizin öffnete und den Schwerpunkt auf diesen bis dahin
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