Flucht im Mondlicht
nicht lecker, auf einem Stück Brot?«
»Verzieh sie nicht«, sagte Safuna mit finsterer Miene. »Keine Extras für dich, junge Dame, bis du aufgegessen hast.«
Mariam hatte gerade nach ihrem Löffel gegriffen, als es laut an die Haustür klopfte.
»Erwarten wir Gäste?«, fragte Habib stirnrunzelnd.
Safuna schüttelte den Kopf. Ihr Augen weiteten sich und sie sprang auf. »Geht nach oben, Kinder.«
»Schamin«, sagte Habib zu ihrem Hausangestellten. »Öffne die Tür und sieh nach, wer es ist.«
Statt, wie befohlen, in sein Zimmer zu gehen, schlich Fadi zum oberen Ende der Treppe. Er steckte den Kopf zwischen den Geländerpfosten hindurch und beobachtete, wie eine Reihe von Männern mit dunklen Turbanen ins Haus marschierte. Habib empfing sie. Er wirkte steif und angespannt.
Schamin eilte davon, um den Gästen Tee zu holen, während die Gruppe Höflichkeitsfloskeln austauschte un d sich auf den Bodenkissen im Wohnzimmer niederließ. Vorsichtig schlich Fadi so weit die Treppe hinunter, wie er sich traute, und lauschte. Gesprächsfetzen drangen zu ihm hinauf.
»… Ihre Familie ist in Afghanistan sehr angesehen«, sagte eine junge raue Stimme. »Wir haben Heldengeschichten gehört, wie Ihre Brüder gegen die hinterhältigen Sowjets kämpften und mithalfen, sie zu besiegen.«
»Einer starb bei einem Angriff auf einen Kommandoposten des KGB «, sagte eine andere Stimme voller Ehrfurcht.
»Ja, ja«, murmelte Habibs sanfte Stimme. »Meine Brüder waren ehrenhafte Männer, die für ihr Land kämpften und starben …«
Fadi konnte nicht verstehen, was sein Vater sonst noch sagte. Er beugte sich vor und verlor beinahe das Gleichgewicht.
»Sie sind ein stolzer Paschtune, wie die meisten Ihrer Taliban-Brüder«, murmelte eine tiefe herrische Stimme. »Sie haben dem Land einen guten Dienst erwiesen, indem Sie sich für die Vernichtung der Mohnfelder einsetzten.«
»Es war mir eine Ehre, Afghanistan vom Opium zu befreien, Bruder«, erwiderte Habib.
»Nun brauchen wir wieder Ihre Hilfe, Bruder Habib«, sagte die raue Stimme.
»Ein im Westen ausgebildeter Mann wie Sie könnte unserem Land von großem Nutzen sein«, fuhr die herrische Stimme fort.
»Was meinen Sie damit?«, fragte Habib.
»Sie haben doch in den Vereinigten Staaten studiert, oder?«
»Ja, ich habe in Amerika meinen Doktor gemacht«, erwiderte Habib.
»Seit wir die Macht übernahmen, weigern sich ausländische Regierungen wie die amerikanische und die französische, unseren Herrschaftsanspruch anzuerkennen. Wir wurden erneut aufgefordert, vor den Vereinten Nationen unseren Standpunkt darzulegen. Sie könnten uns helfen. Sie haben früher unter Amerikanern gelebt und kennen ihre Mentalität. Als unser Botschafter könnten Sie sie überzeugen, uns als offizielle Regierung Afghanistans zu akzeptieren.«
Fadi lehnte sich entsetzt zurück. Sein Vater sollte sich den Taliban anschließen und ihr Botschafter werden? Dann beugte er sich weit über das Treppengeländer, um die Antwort seines Vaters zu hören.
»Ich fühle mich sehr geehrt, Brüder«, erwiderte Habib. »Aber ich bin kein Politiker oder Anführer. Im Grunde bin ich nur ein Lehrer. Ich glaube nicht …«
Fadi runzelte die Stirn. Den Rest des Satzes hatte er nicht verstanden. Sprich lauter ! Er war kurz davor, vornüberzukippen, als jemand ihn in den Hintern kniff.
»Komm hoch, du kleiner Naseweis!«, flüsterte Noor ihm ins Ohr. »Willst du Vater in Schwierigkeiten bringen?«
Murrend zog Fadi sich in sein Zimmer zurück.
K aum waren die Taliban gegangen, da eilten Fadi, Noo r und ihre Mutter die Treppe hinunter, gefolgt von Mariam, die sich verschlafen die Augen rieb.
»Geh wieder ins Bett, Mariam«, befahl Noor ihrer kleinen Schwester.
Mariam schüttelte den Kopf. »Ich gehöre auch zur Familie, weißt du«, murrte sie. »Ich will wissen, was los ist.« Schmollend folgte sie den anderen ins Wohnzimmer hinunter.
In der nächsten halben Stunde lief Safuna mit bleichem Gesicht auf und ab, während Habib erzählte, was geschehen war. »Du meine Güte!«, sagte sie und rang die Hände. »Das ist schrecklich, einfach schrecklich.«
»Ich weiß. Was für ein Dilemma!« Habib seufzte und zupfte an seinem Bart. »Inzwischen sind die Taliban vielen ausländischen Regierungen ein Dorn im Auge.«
»Ja. Dass sie Osama bin Laden und seine undurchsichtigen Freunde aufgenommen haben, dient ihrer Sache gewiss nicht«, sagte Safuna.
Da meldete Mariam sich zu Wort: »Aber die Männer im Basar
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