01 - Hexenpower
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E s REGNETE IN DIESER NACHT in San Francisco. Doch die Bezeichnung »Regen« war für die Abermillionen Tropfen, die Kamikaze-Fliegern gleich herabprasselten, eigentlich eine bodenlose Untertreibung. Seit Tagen hing eine Wolkendecke über der Stadt, die es kaum möglich machte, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Ständig blitzte und donnerte es, und die Kanalisation wurde der Wassermassen kaum noch Herr. In wilden Bächen stürzten die Fluten die Hügel der Stadt hinunter, wenn sich die Gullys wieder einmal verschluckt hatten wie ein durstiges Kind am Inhalt einer Colaflasche.
Naturgemäß waren bei diesem Wetter und in der damit verbundenen Finsternis nicht viele Menschen unterwegs. Kein Tourist versuchte die Schönheit von Fishermans Wharf zu genießen, und selbst die Polizisten der Nachtschicht versteckten sich in ihren Streifenwagen, um mißmutig durch den Wasserfall auf ihren Windschutzscheiben zu starren.
Abby Stark überprüfte noch einmal, ob die Fenster ihres Apartments verschlossen waren. Sie wollte sichergehen, daß kein Regenwasser durch die Ritzen in ihre Küche floß. Dann nahm sie ein Schälchen aus der Anrichte und einen Karton Milch aus dem Kühlschrank. »Morgana«, rief sie leise. Sie ging in den Wohnraum und goß dabei vorsichtig etwas von der Milch in die Schale. »Morgana?«
Mit einem leisen Schnurren kam die bildhübsche Siamkatze hinter dem Sofa hervor. Abby wußte, daß Morgana Gewitter haßte. Sanft streichelte sie dem Tier über das seidige Fell, während sie die Schale mit der Milch auf den Parkettboden stellte. Sofort machte sich die Katze darüber her und schnurrte dabei noch ein wenig lauter.
»So ist's brav, meine Kleine«, sagte Abby und stand auf.
Sie hatte noch viel zu tun.
Es war für ihn ein leichtes gewesen, das Sicherheitstor zu überwinden, welches das Apartmenthaus vor unliebsamen Besuchern schützen sollte. Es bedurfte nur einer leichten Bewegung seiner linken Hand, das Schloß zu öffnen und das Tor sanft nach innen schwingen zu lassen. Dies geschah lautlos, und selbst ein leises Quietschen wäre im dröhnenden Lärm des Gewitters untergegangen.
Der Sicherheitsbeamte im Büro an der Pforte bemerkte ihn nicht. Wenn er es nicht wollte, bemerkte ihn niemand. Sein Blick glitt an dem mächtigen, drohend in den Nachthimmel hinaufragenden Apartmenthaus hoch. Der kühle Augustregen prasselte in sein Gesicht, bahnte sich seinen Weg am Kragen seines schwarzen Mantels vorbei und lief in kleinen Rinnsalen seinen Körper hinab. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fanden kalte Augen das Fenster, das er suchte. Ein Gedanke genügte, und ächzend schob sich das untere Ende der Feuerleiter herab, bis die erste Sprosse direkt vor ihm innehielt.
Er begann, das Gebäude langsam, aber zielsicher zu besteigen.
Abby stellte die letzte Kerze auf den kleinen Altar, den sie in der Mitte ihres Wohnraumes aufgebaut hatte. Mit einem Streichholz zündete sie die Lichter in der Reihenfolge an, die schon seit Jahrhunderten von den Schwestern vorgegeben wurde. Sie faltete ihre Beine unter ihrem Körper in einer schwierigen, aber bequemen Variante des Schneidersitzes ein. Ihre sanften braunen Augen erfaßten die Runen, die in das dunkle Holz des Tisches eingelassen waren.
Sie zelebrierte diese Zeremonie einmal im Monat. Es war keine große Sache, in jedem Esoterik-Laden konnte man Taschenbücher mit Anleitungen für dieses Hexengebet kaufen. Aber wenn man wirklich zu den auserwählten Schwestern gehörte, konnte die Anrufung helfen, Kraft zu sammeln, sich zu konzentrieren und von der universellen Macht zu kosten. Und nachdem sie Andrew endgültig aus ihrem Leben verbannt hatte, konnte Abby ein wenig magische Aufmunterung gut gebrauchen.
Sie schloß die Augen und begann mit der Inkantation: »Abudedomei, großer Alter in den Tiefen der Erde, Herr über Sonne und Mond, ich empfange dich in meiner Hexenwelt, in meinem Zirkel, und ich bitte dich, mir deinen Schutz anzugedeihen.«
Er hatte sein Ziel erreicht. Im fünfzehnten Stock des Hauses stand er vor dem Küchenfenster und blickte vorsichtig hinein. Der Riegel ließ sich einfach umlegen. Seine Bewegungen waren lautlos und fließend, seine Schritte auf dem Küchenboden nicht zu vernehmen. Jetzt nahm er den leisen Singsang der Hexe wahr. Das war gut, in meditativer Trance war sie um so leichter zu überwältigen. Er knöpfte seinen Mantel auf, als er das Wohnzimmer betrat. Sie saß mit dem Rücken zu ihm vor ihrem Altar, wohl in dem
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